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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin
Autoren: Aufbau
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ich einen Schritt auf ihn zu, drückte kräftig seine Hand und verbeugte mich leicht. Als hätte ich irgendeinen Grund, dankbar zu sein.
    »Und, Herr Walder …«
    Ich war schon fast an der Glastür angekommen, wo Michelsens Sekretärin hektisch auf ihre Uhr zeigte.
    »Ja?«
    »Grüßen Sie Ihre Verlobte von mir.«
    Meine Verlobte. Das war Marie erst seit jenem Tag, an dem ich den Anruf aus Michelsens Büro bekommen hatte. Es war der 25. März, ein Dienstag. Ich bin an einem Dienstag geboren und deswegen davon überzeugt, dass dieser Tag mein Glückstag ist. Marie und ich waren zu einem Baumarkt vor den Toren Münchens gefahren, um so viel Laminat zu kaufen, wie eben in eine 112 Quadratmeter große Wohnung in Schwabing plus Verschnitt hineinpasst, als mein Blackberry klingelte. Es war Frau |14| Volkmann, Michelsens Sekretärin: »Herr Walder, Professor Michelsen möchte Sie sehen. Am 2. April, 11 Uhr 15. Bis dann.« Das Gespräch dauerte nicht länger, als Marie ihre Lippen zu einem lautlosen »wer ist denn dran?« formen konnte.
    »Das war das Büro von Michelsen. Der Professor will mich sprechen«, sagte ich.
    Marie ließ den ausgeklappten Zollstock auf die Füße des verschwitzten Baumarktmitarbeiters fallen, der gerade dabei gewesen war, uns unzählige Paletten eines dunkelbraunen und selbstverständlich unbehandelten Bodenbelags in den Einkaufswagen zu wuchten. Sie zehenspitzte sich auf die Höhe meines Gesichts, um mit beiden Händen meinen Kopf mit sich herunterzuziehen. Ich bekam einen der in der Öffentlichkeit so seltenen Küsse.
    »Johann«, sagte Marie, »du hast es geschafft. Endlich wirst du Chefredakteur der Metro-News. Endlich bist du nicht mehr der zweite Mann. Ich bin so stolz auf dich.«
    Weil ich für den Termin bei Michelsen auch keine andere Erklärung hatte, weil wir am Abend offiziell die Wohnung übernehmen würden und weil ja nun mal Dienstag war, dachte ich fälschlicherweise, ein passender, größerer Moment würde in meinem Leben nicht mehr kommen. Ich blickte kurz in den Badezimmerspiegel, der schräg gegenüber hing und um dreißig Prozent reduziert war, und zog das Etui von Wempe, das ich sicherheitshalber seit knapp einem Monat immer dabeihatte, aus der Innentasche meines Sakkos. Ich klappte es auf, kniete auf einem Stück ausgerollter Teppichware nieder, streckte Marie den Halbkaräter entgegen und fragte, ob sie meine Frau werden wolle.
    »Die Frau des Chefredakteurs der Metro-News?«, fragte sie.
    »Die Frau des Chefredakteurs der Metro-News«, sagte ich.
    »Natürlich.«
    Von diesem Moment an nannten wir den 25. März den perfekten Tag. Bis heute.
    |15| Ich konnte Marie nicht erreichen. Seit ich Michelsens Büro verlassen hatte, war bei ihr besetzt. Sie hatte sowieso viel telefoniert in den vergangenen Tagen. Mit ihrer Mutter, ihrer Schwester in Berlin, ihrer Schwester in Genf, ihren Freundinnen, ihrem Vater, ihrer ehemaligen Schulkollegin, den Mitgliedern ihrer Tennismannschaft, ihren Ex-Freunden. Allein das Gespräch mit ihrer Mutter am Tag nach dem perfekten Tag hatte über dreieinhalb Stunden gedauert, wobei es nur einen Bruchteil der Zeit darum gegangen war, dass wir heiraten würden. Vor allem sprachen die beiden über meinen beruflichen Aufstieg.
    »Ja, Mama, ich habe recht gehabt. Ich habe dem Johann ja immer gesagt, dass er Karriere macht.«
    Das hatte sie tatsächlich, gleich nach unserer ersten, leider sehr kurzen gemeinsamen Nacht: »Weißt du eigentlich«, hatte sie mir ins Ohr geflüstert, während sie mit der Bettdecke die flüchtigen Zeugen der vergangenen fünf Minuten von der Innenseite ihres Oberschenkels gewischt hatte, »dass du mal ganz groß rauskommen wirst bei den Metro-News und in München?«
    »Warum?«, hatte ich gefragt.
    »Weil ich nur mit Männern ins Bett gehe, die was werden«, hatte sie gesagt und das Licht ausgemacht.
    Zum Beispiel Chefredakteur der
Wützener Zeitung
? Es war immer noch besetzt. Ich ging kurz in das Büro, das bald nicht mehr meins sein würde, zog den teuren langen braunen Mantel an, den wir, sozusagen im Vorgriff auf mein erstes Chefredakteursgehalt, gekauft hatten, und brach ins Tantris auf. Marie hatte gemeint, dass das Zweisternerestaurant der einzige Ort sei, an dem wir meinen Sprung an die Spitze der
Metro-News
würdig feiern könnten. Ich hatte gehofft, dass es dort einen Kamin geben würde, in dem wir nach dem Dessert David Nicholls’ Roman »Ewig Zweiter« rituell verbrennen konnten. Den hatte mir Marie zum 35.
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