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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin
Autoren: Aufbau
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auch. »Und noch einmal vielen Dank für das Vertrauen.«
    |29| »Viel Spaß in Wützen, Herr Walder.«
    35 Sekunden, nicht schlecht.
    Am Abend bekam ich eine SMS von Marie. Offensichtlich hatte sie ein neues Handy. Die Nachricht bestand nur aus vier Worten:
    »Bleibt es bei Wützen?«
    »Ich liebe Dich«, tippte ich zurück.
    »Ich lasse nächste Woche meine Sachen aus der Wohnung holen«, schrieb sie.
    Es war die letzte Nachricht, die ich für eine lange Zeit von ihr erhalten sollte.

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    |30| FÜNF
    Zwei Wochen später fuhr ich das erste Mal nach Wützen. Volkerts hatte mich ursprünglich von München aus mitnehmen wollen, musste dann aber schon ein paar Tage vorher in die Gegend. Wir vereinbarten, uns direkt in Wützen zu treffen, wo er mich in Vertretung des Professors, der natürlich niemals dort gewesen war, der Redaktion vorstellen wollte.
    Ich nahm die Bahn, fuhr mit dem ICE von München nach Duisburg und von dort in einem aus nur zwei Waggons bestehenden Regionalzug weiter. Mit jeder neuen Station kam ich mir wie in einem dieser beliebten Vorher-Nachher-Experimente vor, wobei es in meinem Fall eher vom Nachher zum Vorher ging. Ich hatte das Gefühl, mich zurückzuentwickeln, kleiner zu werden, genau wie die Stationen, an denen wir hielten. Nach gut fünf Stunden war ich am Ziel.
    Wützens Bahnhof mit seinen immerhin vier Gleisen kannte ich ja schon, der mit Graffiti beschmierte Fußgängertunnel hätte auch unter der Leipziger Straße in Berlin verlaufen können. Drei Mal wurde ich von ziemlich verlotterten Jugendlichen angesprochen, ob ich eine Fahrkarte zu verschenken hätte. Vor der Station stand Volkerts. Er hatte darauf bestanden, mich dort abzuholen.
    »Guten Tag, Herr Walder. Hatten Sie eine gute Reise? Wollen wir gleich in die Redaktion gehen? Oder wollen Sie erst mal noch was essen?«
    Nein, ich wollte nicht »erst mal noch was essen«. Ich wollte meinen neuen Job antreten. Je eher daran, desto eher davon, sagten meine norddeutschen Freunde. Nur was begonnen hat, kann auch zu Ende gehen. In diesem Sinne konnte ich gar nicht schnell genug anfangen.
    |31| »Lassen Sie uns gleich in die Redaktion fahren.«
    »Gehen, Herr Walder, gehen. Wützen ist eine Stadt der kurzen Wege«, sagte Volkerts. »Das ist ganz anders als in München.«
    Nein, wirklich? Am Ende gab es hier auch keinen Viktualienmarkt.
    »Was wissen Sie eigentlich über die Redaktion, Herr Walder?« Volkerts ließ mich gar nicht erst antworten. »Professor Michelsen hat Ihnen bestimmt gesagt, dass der Laden hier nicht ganz einfach ist. Die Truppe ist leicht männerlastig, etwas überaltert und seit Jahrzehnten in dieser Konstellation zusammen. Da gibt es natürlich die eine oder andere Spannung.«
    Volkerts war in etwa so ehrlich wie eine Reiseverkehrskauffrau, die Alaska als Land mit ganzjährig mildem Klima und herrlich weißen Sandstränden beschreibt.
    »Aber Sie werden es ja gleich selbst sehen. Da sind wir.«
    Hätte er es nicht gesagt, ich hätte es nicht geglaubt. Wir standen vor einem achtgeschossigen Haus, das zur Straße hin mehrere große Balkone hatte und gerade erst neu gestrichen worden sein musste. Die graue Farbe war so gleichmäßig wie trist und endete unterhalb eines schwarzen, flachen Daches. Im Erdgeschoss war die Geschäftsstelle der
Wützener Zeitung
untergebracht. Eine ältere Dame diktierte einer Angestellten gerade den Text für eine Anzeige in die Schreibmaschine. Der Computer, der danebenstand, war aus.
    »Wollen wir hochgehen?«, fragte Volkerts. »Die Redaktion ist im zweiten Stock.«
    »Gern«, sagte ich, rückte die Krawatte zurecht und zerrte meinen schweren Samsonite die schmale Treppe hoch. Als wir oben ankamen, wollte ich von Volkerts wissen, ob ich den Koffer kurz in meinem Büro abstellen könnte.
    »Äh, na ja«, er wirkte unsicher, »Sie können den Koffer gern hier stehen lassen. Den klaut schon keiner.«
    Übersetzt hieß das, aber das sollte ich erst später herausbekommen: Ich hatte kein eigenes Büro. Um Geld zu sparen, war |32| die
Wützener Zeitung
vor einem Jahr aus den oberen fünf in die unteren drei Etagen gezogen. Für die Redaktion gab es jetzt nur noch einen Großraum.
    »Hier muss einiges getan werden«, sagte Volkerts, bevor er in diesen vorausging. »Aber sonst wäre ein Mann wie Sie ja auch nicht hier.«
    Der Erste, den ich kennenlernte, war mein Stellvertreter. Herbert Grainer, um die fünzig, fast zwei Meter groß und stark kurzsichtig. Er trug eine dicke, goldumrandete
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