Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Brille und einen dunkelbraunen Cordanzug, alles von
Gucci
. Als er mich sah, griff er in die Schublade seines Schreibtisches, nahm eine kleine Sprühdose heraus und führte sie zum Mund. Odol.
    »Wir hatten schon befürchtet, dass der Verlag den Laden hier dichtmacht«, sagte er, und es roch nach Minze. »Aber jetzt, wo Sie da sind, geht es wohl doch weiter. Na ja.« Grainer, Kürzel rain, hatte sich um den Posten des Chefredakteurs beworben, lange bevor der bisherige Chef in den Ruhestand gegangen war. »Er wollte den Job unbedingt«, hatte mir Volkerts erzählt, als wir in München das schmale Personaltableau der
Wützener Zeitung
durchgegangen waren. »Genau wie zwei andere Kollegen.« Ich wollte ihn nicht. Journalistenpech.
    Mein nächster Mitarbeiter hieß wie der Frühling, roch aber wie der Erfinder von Klosterfrau Melissengeist – ich sollte ihn niemals nüchtern erleben. Martin Lenz saß an einem Schreibtisch, auf dem sich Hunderte ausgerissene Zeitungsseiten, Pressemitteilungen und Fotos wie Wolkenkratzer türmten. Er hob kurz die rechte Hand, an deren Zeigefinger die Kuppe fehlte, und murmelte etwas, das wie »Willkommen mein Waller« klang und wohl »Willkommen, Herr Walder« heißen sollte.
    Robin Batz war der Spezialist für Lokalpolitik. Er trug weiße Tennissocken zur schwarzen Jeans und dem ebenfalls schwarzen, bis oben hin zugeknöpften Hemd. Er hatte eine Glatze und war so konservativ, dass der zugegebenermaßen schwule GAL-Bürgermeister bei unserem ersten Treffen über ihn sagte: »Rechts |33| neben Herrn Batz kommt nur noch die Wand.« Er schlug die Hacken zusammen, als er mir die Hand gab, und drückte sie, als ginge es nicht darum, den neuen Chef zu begrüßen, sondern eine Orange auszuquetschen. Auf seinem Computer stand ein Deutschlandfähnchen.
    Sportredakteur Kalle Peperdieck hatte sich neben seinem Schreibtisch einen Extraschrank aufstellen lassen, in dem er zwei Paar von seiner Frau gehäkelte Redaktionspantoffeln, ein Dutzend Hemden und einen Fön verwahrte. Er schwitzte stark und wischte sich mit einem Taschentuch die Innenfläche seiner Hand trocken, bevor er sie mir, an seinem gewaltigen Bauch vorbei, entgegenstreckte. Peperdieck war gerade einen Meter sechzig groß und sah aus, als würde er jeden Moment nach vorn fallen. Weil er immer sonntags arbeiten musste (»dieser blöde Amateurfußball«), kam er am Freitag gar nicht erst in die Redaktion: »Die Sonnabendausgabe mache ich schon am Donnerstag, da haben Sie doch nichts dagegen, oder?«, fragte er mich, kaum dass wir uns zehn Minuten kannten.
    Die einzige Frau in der Redaktion war eigentlich keine. Rita Bolzen wog wohl an die hundert Kilo, hatte kurze, graue Haare und einen Damenoberlippen-, der bei mir als Dreitagebart durchgegangen wäre. Um den Hals trug sie eine silberne Kette, an der eine Brille und ein Vergrößerungsglas baumelten. Auf ihrer Brust haftete ein kleiner roter
ver.di
-Anstecker. Rita Bolzen war Vorsitzende der Ortsgruppe Wützen und natürlich Betriebsratsvorsitzende der Zeitung. Meiner Zeitung.
    Alle arbeiteten genau die tariflich vereinbarten 35 Stunden in der Woche. Was darüber hinausging, wurde so sorgfältig wie nichts anderes im elektronischen »Arbeits- und Mehrarbeitszeiterfassungssystem«, kurz AMAZ, vermerkt, aufgerundet und abgebummelt. »Wenn Sie daran etwas ändern«, hatte Rita Bolzen gleich bei der Begrüßung zu mir gesagt, »sehen wir uns vor dem Arbeitsgericht wieder.« Hinterher hatte sie Lenz, der gerade dabei gewesen war, die fünfte Flasche des Volkert’schen |34| Begrüßungschampagners aufzumachen, zugeraunt: »Dem Walder, dem habe ich gleich gesagt, wo’s langgeht. Der soll nicht glauben, dass wir uns so einem Typ mit Nadelstreifenanzug und gegelten Haaren ergeben. Wenn er Ärger will, kann er Ärger haben.« Lenz hatte zustimmend gerülpst.
    Ja, ich wusch meine Haare nicht nur täglich, was für die Bolzen sicherlich Provokation genug gewesen wäre, ich schmierte auch eine Walnuss große Portion Gel hinein. Und zwar schon lange bevor das bei den Trainees und Executive-Trainees und Vorstandsassistentenschnöseln aller Firmen dieses Landes Mode und zum Inbegriff für den renditeorientierten Karrieristen wurde. Ohne Gel sahen meine Haare einfach scheiße aus, wie ein geplatztes Kopfkissen. Für den Notfall hatte ich immer eine Tube im Schreibtisch, gleich neben den Plänen mit dem Honorarbudget, das mein Vorgänger in den vergangenen zwölf Monaten um sechzig Prozent überzogen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher