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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin
Autoren: Aufbau
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hatte. Gemerkt hatte es offenbar niemand.
    »Herr Walder?« Frau Schmidt. Die hätte ich fast vergessen. Christine Schmidt war die Sekretärin, die wir uns mit der Anzeigenabteilung teilen mussten. Sie sammelte unter anderem die Tagesordnungspunkte für die sogenannten Verlagskonferenzen. Bei der ersten, an der ich teilnahm, gab es allerdings nur einen: »Die Anmietung eines Dixi-Klos angesichts der kurzfristig nicht zu behebenden Verstopfungen der Redaktionstoiletten.« Ich hätte noch ein paar mehr gehabt. Zum Beispiel: Einführung einer täglichen Redaktionskonferenz. Einführung von Seitenzahlen, auch täglich. Kündigung der Lieferverträge mit dem Getränkemarkt Schoppenhauer, die unseren Etat um 200 Euro die Woche (so viel kostete die Redaktionsration an Bier und Wodka) entlasten würden. Um nur die wichtigsten zu nennen.
    »Eine junge Frau hat heute diese Bewerbung für ein Praktikum abgegeben«, sagte Frau Schmidt. »Ihr Vorgänger hat zuletzt keine Praktikanten mehr genommen. Soll ich gleich absagen?«
    |35| Ja, klar. Was sollten wir auch mit jungen Frauen? Die hätten nur die seit Jahrzehnten eingespielte Männer-Redaktions-WG durcheinandergebracht, diese Fortsetzung des Stammtisches mit scheinbar journalistischen Mitteln. Was sollte eine junge Frau hier? Nicht, dass die Herren sich noch auf normale Umgangsformen besinnen müssten, nicht, dass Kalle Peperdieck, dem Sportchef, vor Schreck die Redaktionspantoffeln aus den Händen fielen oder Martin Lenz der Flachmann aus der Tasche. Frauen? Jung? Bei denen?
    »Geben Sie her. Ich muss mir die Bewerbung zumindest mal ansehen.«
    »Wenn Sie absagen wollen: Ich habe da so ein Formblatt, das müssen Sie nicht einmal unterschreiben«, sagte Frau Schmidt.
    »Ich melde mich bei Ihnen.«

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    |36| SECHS
    Wenn ich meine früheren Chefs um eines beneidet hatte, dann um das Recht, Praktikanten auswählen zu dürfen. Die Kriterien dafür waren so simpel, wie es männliche Führungskräfte sind, die keine Zeit haben, dicke Bewerbungsmappen durchzulesen. Mädchen wurden anhand des Fotos bewertet, Jungs nach ihren Hobbys und Vorlieben. Ich habe nur einmal einen Redaktionsleiter erlebt, der ernsthaft die Arbeitsproben einer möglichen Praktikantin gelesen hat. Es war der Chef eines bayerischen Wochenblattes, der pro Jahr nur etwa drei Bewerbungen bekam.
    Alle anderen brauchten zwischen zehn Sekunden und zwei Minuten, um die journalistischen Fähigkeiten der Kandidatinnen beurteilen zu können. Blonde Haare, ein leicht von unten nach oben gehender Blick, ein sanftes Lächeln und die Andeutung eines Dekolletés waren die wichtigsten Eigenschaften einer Praktikantin. Wirklich geschafft hatte sie es, wenn der Chef ihre Mappe unter seinen engsten Vertrauten herumgehen ließ.
    »Schaut mal, die kommt in den Sommerferien zu uns. Möchte jemand seinen Urlaub umbuchen?«, hatte mein Vorgesetzter die Mitglieder der Politikredaktion beim
Volksboten
einmal gefragt, der Zeitung, bei der ich vor den
Metro-News
gewesen war. Einer der Kollegen hatte sich wirklich gemeldet. Die Mappe der jungen Frau lag bis drei Tage vor Beginn ihres Praktikums auf seinem Schreibtisch. Dann sagte sie ab, weil sie ein Volontariat bei
Michelsen Media
bekommen hatte.
    Erstaunlicherweise gibt es immer mehr weibliche als männliche Praktikanten. Das liegt zum einen an dem beschriebenen Auswahlverfahren, zum anderen daran, dass sich viel mehr junge Frauen als junge Männer bewerben. Womit die Geschlechterverteilung |37| bei Praktikanten sich umgekehrt zu jener bei Redakteuren verhält, zumindest bei den Zeitungen, die ich kenne. Was wiederum der Grund dafür ist, dass es so oft zu Verbindungen zwischen den beiden, sagen wir mal, Berufsgruppen kommt.
    Ich habe alle denkbaren Konstellationen erlebt. Den Politikchef, der aus der Praktikantin eine Redakteurin machte, um sie sechs Monate später zu heiraten; den Volontärsvater, der sich von Praktikantinnen bei der Besprechung ihrer Texte in seinem Büro den Nacken massieren ließ; den Chefreporter, der eine Praktikantin auf eine Dienstreise mitnahm, statt zweier Einzelaber ein Doppelzimmer gebucht hatte. Immerhin schwärzte sie ihn nach drei Nächten beim Betriebsrat an.
    Ich hatte mir vorgenommen, als Chef mindestens so viele Männer wie Frauen zu nehmen, ich meine: zu beschäftigen, mir wenigstens die Anschreiben der Bewerbungen gründlich durchzulesen und am Ende jedem Praktikanten und jeder Praktikantin ein langes, persönliches Zeugnis zu schreiben. Eines,
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