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Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen
Autoren: Ursula Sternberg
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EINS
    Wieder mal Stau auf der A 40. Aber jetzt war ja erst mal Schluss mit der Fahrerei, wenn ich denn endlich mal zu Hause angekommen war. Ich hatte Urlaub. Hätte eigentlich ein tolles Gefühl sein müssen. Leider war ich nicht gerade mit Vorfreude erfüllt. Lange Zeit hatte es geheißen, der Resturlaub würde auch über den März hinaus nicht verfallen. So sei es immer gewesen. Dazu konnte ich nichts sagen, schließlich war ich neu. Also hatte ich mich darauf verlassen. Bis Mitte der vergangenen Woche eine eindeutige Dienstanweisung von ganz oben gekommen war, wonach jeder, der für den laufenden Betrieb nicht absolut unverzichtbar war, den Resturlaub bis Ende März abbauen musste.
    »Sorry, noch nie dagewesen«, hatte mein sichtlich betretener Chef gemurmelt, »typischer Fall von Is’ so.« Da könne er speziell für mich als Neuling leider wenig tun. Klar, dass er erst mal versuchte, bei den alteingesessenen Kollegen die Urlaubsplanung zu retten. Konnte ich ja sogar verstehen. Dennoch war das Ganze verdammt ärgerlich. Denn Max hatte sich auf gemeinsame Ferien im April eingestellt und deshalb in den März besonders viele Termine gelegt. Wichtige Termine. Und Aufträge, noch wichtiger. Wie so oft in letzter Zeit. Max war viel unterwegs, und wenn er zu Hause war, saß er meistens bis tief in den Abend hinein am Schreibtisch, häufig auch an den Wochenenden. Die Kehrseite seiner Selbstständigkeit. Mein kleiner Hacker war solide geworden. Sturzsolide. Und ich ebenfalls, denn auch mich hatte mein neuer Job fest im Griff, mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen. So wie früher.
    Das erste halbe Jahr war verdammt anstrengend gewesen. Neue Kollegen, neue Themen, unbekannte Softwareprodukte. Vermittelt durch Schütte von der Bochumer Kripo war ich vor einem Dreivierteljahr zu einer der Schaltstellen der nordrhein-westfälischen Polizei gekommen, zur LZPD, der Landeszentrale für Polizeidienste, wo ich mich als Projektmanagerin, wie es heute so schön neudeutsch hieß, primär damit befassen sollte, wie man erstens EDV-technische Insellösungen aus mehr oder weniger verstaubten Polizeidienststellen durch Anbindung an zentrale Netze ablösen oder zumindest für andere verfügbar machen könnte. Zweitens ging es um die Optimierung des sehr fehleranfälligen Auskunftssystems, das in weiten Teilen NRWs bereits im Einsatz war, und um die Frage, ob man das nicht doch besser durch eine andere Softwarelösung ersetzen sollte. Die Lage war ernst, aber nicht hoffnungslos, und die Arbeit machte mir Spaß. Zwar wäre mir eine Fünfunddreißig- oder besser noch eine Dreißig-Stunden-Woche lieber gewesen. Leider war das in meiner Branche jedoch absolut nicht üblich. In der Welt der IT war nach wie vor Vollzeit mit Haut und Haar angesagt.
    Heute war es aber wirklich arg mit dem Stau. Dabei ließ sich die A 40 zwischen Essen und Duisburg eigentlich ganz gut fahren, besser als erwartet auf jeden Fall. Morgens nach Essen rein und abends wieder raus, das war richtig schlimm. Ich fuhr aber glücklicherweise antizyklisch, was im Regelfall ganz gut funktionierte. Jetzt jedoch steckte der Wurm drin.
    Der Verkehrsfunk auf WDR2 brachte Aufklärung. Auf der A 42, der parallel zur A 40 verlaufenden Autobahn, war in den frühen Morgenstunden ein Tanklastzug in Brand geraten. Die Polizei war immer noch mit Räumungsarbeiten beschäftigt, der Verkehr wurde umgeleitet. Kein Wunder, dass sich dann alles über die A 40 quälte. Leise schimpfte ich vor mich hin, während ich mich Meter für Meter bis zur Abfahrt Frohnhausen schob.
    Ich überlegte, was ich mit meinem zweiwöchigen Urlaub anfangen sollte. Zwei Wochen und ein Tag, genau genommen. Wegfahren? Mich spontan einer Reisegruppe anschließen? Allein ein paar Tage irgendwohin fliegen, wo es warm und sonnig war? Vielleicht sollte ich im Internet mal nach Last-Minute-Angeboten dieser Art suchen. Vielleicht sollte ich aber doch lieber hierbleiben und mir endlich mal ein paar der Museen vorknöpfen, die ich schon lange besichtigen wollte? Eine ausgiebige Wanderung durchs Felderbachtal machen, ein paar Freunde bekochen, vielleicht ein Konzert besuchen und auf jeden Fall mal wieder einen Zug durch die Essener Szenekneipen machen? Mir meinen verwilderten Hinterhof-Garten vornehmen und planen, was ich dort alles pflanzen wollte? Mich endlich mal wieder an ein dickes Buch wagen und den Tag gemütlich mit Lesen verbringen, ohne gleich dabei einzuschlafen?
    Ich konnte mich nicht entscheiden.
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