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Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen

Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen

Titel: Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
Autoren: Margaret Weis
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umgaben, die Stadt Seth im Norden des Tals, die Felder ringsum, welche die Stadt ernährten, das Königsschloss in den Ausläufern des Gebirges, das Kloster des Heiligen Ordens des Auges, das hoch oben auf dem Klosterberg über all dies wachte.
    Auch an diesem Morgen sah Melisande dies alles – doch sie sah noch mehr.
    Sie sah den Drachen.
    Melisande stockte der Atem. Zwar diente das tägliche Ritual dazu, nach Drachen Ausschau zu halten, doch hatte sie selbst noch nie einen zu Gesicht bekommen. Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit ihre Vorgängerin in die Schale geblickt und acht Drachen im Anflug auf das Tal bemerkt hatte. Melisande erinnerte sich lebhaft an dieses Ereignis. Damals war sie neun Jahre alt gewesen. Noch immer dachte sie an den Schrecken und die Aufregung, als die Kriegerinnen alle kleinen Mädchen in die Katakomben unter dem Kloster geschleppt hatten, wo sie in Sicherheit und aus dem Weg waren.
    Die anderen Mädchen hatten geweint und gejammert, nicht jedoch Melisande. Sie hatte in der stickigen Finsternis gekauert und gespürt, wie der Boden von den gewaltigen Kräften erbebte, die über ihr freigesetzt wurden. Innerlich war sie im Heiligtum des Auges bei den Schwestern gewesen und hatte ihre Magie genutzt, um die grausamen Bestien zu vertreiben, die Tod und Zerstörung brachten. Sie war noch nicht förmlich in die Magie eingeweiht worden; dieser Unterricht begann nicht vor dem dreizehnten Lebensjahr. Aber sie kannte die Worte, weil sie den täglichen Gesängen der Schwestern gelauscht hatte. Damals in der Dunkelheit wiederholte sie diese Worte, flüsterte sie vor sich hin. Wie strahlende Tücher breiteten sich die Farben der Magie über ihr aus – leuchtendes Rot und flammendes Orange, das die Drachen verwirren sollte, bis sie in Reichweite der Pfeile und Speere kamen oder im Flug gegen den Berg prallten.
    Der Schwesternorden hatte einen schweren Stand gegen die anstürmenden Drachen. Irgendwann hatten die mächtige Magie der Meisterin und ihrer Priesterinnen, aber auch die Pfeile und Speere der Kriegerinnen die Drachen aus Seth vertrieben. Als Melisande an diesem Abend aus den Katakomben gekommen war, hatte sie die Spritzer bemerkt, die noch vom Pflaster geschrubbt wurden. Sie hatte sich gebückt und ihre Finger hineingetaucht: Drachenblut.
    Jetzt legte Melisande beide Hände an den Rand der Steinschale und starrte in deren Zentrum. Das Auge verschwand. Die Iris war himmelblau, klar und wolkenlos. Die grünen Schuppen des Drachen glitzerten in der eben aufgegangenen Sonne. Die Augen beiderseits des massigen Schädels schienen die Priesterin genau anzusehen, auch wenn Melisande wusste, dass es sich dabei nur um eine Illusion des Auges handelte. Noch war der Drache in weiter Ferne. Vielleicht sah er die Berge von Seth bereits, aber mehr nicht. Bis jetzt.
    Melisande hockte sich auf die Fersen und atmete tief durch, um ihr Zittern in den Griff zu bekommen. Sie hatte keine Angst, denn dafür bestand kein Grund. Das Zittern stammte nur von dem Schock, weil sie das Gesehene nicht erwartet hatte. Geschwind erhob sie sich, verließ den Tempel und rannte den schmalen, mit Platten belegten Pfad zum Kloster entlang. Unterwegs überlegte sie, was sie nun zu tun hatte. Viele Dinge mussten geschehen, und sie konnte nicht alles auf einmal vollbringen. Sie musste überlegen, was am wichtigsten war und was nachrangig. Diese Reihenfolge legte sie fest, während sie über den Pfad hastete.
    Sobald sie die graue Steinmauer erreichte, die das Kloster umgab, zog Melisande den eisernen Schlüssel heraus, den sie an einem seidenen Band um die Taille trug. Damit schloss sie die Pforte auf. Zu ihrer Erleichterung hatte sie sich unterwegs so weit in den Griff bekommen, dass sie immerhin nicht mehr zitterte. Mit ruhiger Hand öffnete sie das Weidengatter, machte es hinter sich wieder zu und eilte durch den Garten. Dabei registrierte sie die Unruhe auf den Zinnen.
    Die Kriegerinnen hatten die ganze Nacht Wache gehalten. Ihre Schicht war fast vorüber. Gähnend liefen sie ihre Runde, freuten sich auf das Essen und auf ihr Bett. Der ungewöhnliche Anblick ihrer normalerweise so würdevollen Hohepriesterin, die barfuß ins Kloster gerannt kam (ihre Schuhe hatte sie vergessen), machte die Frauen wieder hellwach. Eine Befehlshaberin wollte wissen, was los war, doch Melisande nahm sich nicht die Zeit, ihr zu antworten.
    Das Kloster betrat sie nicht, sondern rannte weiter durch den Garten, der die vier weißen Marmorgebäude
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