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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel
Autoren: Krystyna Kuhn
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konnte einfach nicht einschlafen. Aber was hatte sie erwartet? Sie schlief schon seit Wochen nicht mehr, fiel allenfalls in eine Art kurzfristige Bewusstlosigkeit, aus der sie schweißgebadet hochschreckte. Wie war sie nur auf die Idee gekommen, das würde sich ändern, sobald sie im College angekommen wären?
    Eine Weile starrte sie an die Zimmerdecke, auf der die Außenbeleuchtung, die das Collegegebäude in diffuses Licht tauchte, seltsame Figuren warf.
    Vielleicht sollte sie ihre Koffer auspacken.
    Oder aufstehen, um das versprochene Lebenszeichen zu geben?
    Lebens-Zeichen.
    Ein Wort, das seit Kurzem eine besondere Bedeutung für sie und Robert hatte. Wie es ihrem Bruder wohl ging?
    Konnte er schlafen?
    Julia sah wieder seinen verzweifelten Gesichtsausdruck vor sich, als Alex ihnen die Schlüssel ausgehändigt hatte. Robert wäre am liebsten mit in ihr Zimmer gegangen, um sich auf ihrem Bettvorleger zusammenzurollen. Nur um nicht alleine schlafen zu müssen. Doch er hatte nichts gesagt, denn Alex – müde und erschöpft von der langen Autofahrt – hatte ihnen kaum noch Aufmerksamkeit geschenkt. Oder war er immer noch sauer auf Robert gewesen, weil er im Auto fast einen Unfall verursacht hätte? Andererseits – Robert hatte recht gehabt, da war tatsächlich jemand auf der Straße gewesen. Doch keiner von ihnen beiden hatte Alex auf die Gestalt im Rollstuhl angesprochen – Julia wusste selbst nicht, warum.
    Sie hob den Kopf und starrte durch die Scheibe der Balkontür nach draußen. Es schien, als hätte sich die Nacht mit einer angespannten Stille verbündet. Sie fühlte sich, als hätte jemand ein schwarzes Tuch über sie gebreitet, das sie einhüllte, doch nicht wärmte. Das alle Geräusche erstickte, bis auf einen schleifenden Laut draußen im Flur, der Erinnerungen in ihr weckte.
    Sie fröstelte.
    Von irgendwoher zog es.
    Und wieder dieses Schleifen. Es drang in ihr Bewusstsein, setzte sich in ihrem Gehör fest, bohrte sich entschlossen und unaufhaltsam einen Weg Richtung Gehirn.
    Sie lauschte. Waren das Schritte?
    Sie konzentrierte sich. Ein Schaben, dann abermals Schritte.
    War jemand in ihrem Zimmer?
    Ja.
    Jetzt spürte sie es deutlich. Jemand ging auf ihr Bett zu. Jemand starrte sie an. Jemand atmete laut.
    Im nächsten Moment hatte Julia den Schalter gefunden und das Licht der Nachttischlampe blendete auf. Sie konnte nichts erkennen, doch sie hörte ein leises Kichern.
    »Oh, du bist ja wach!« Wieder dieses Kichern und dann: »Herzlich willkommen im Tal!«
    *
    Blassblaue Augen starrten Julia geschlagene zwanzig Sekunden an, ohne ein einziges Mal zu blinzeln.
    Es war nicht so sehr der Schreck, sondern vielmehr totale Irritation, die Julia empfand. Jede Einzelheit nahm sie wahr, als ob ihr Gehirn versuchte, die Elemente des Bildes, das sie vor sich sah, zu etwas zusammenzusetzen.
    Helle, irgendwie wässrige Augen, Sommersprossen, schmaler Hals. Orangefarbene Strähnchen in braunem Haar. Ein grelles Orange, wie Julia es von Rettungswesten kannte. Wenn diese geschmacklose Farbe der Friseur auf dem Campus verbrochen hatte, würde sie sich die Haare so lang wachsen lassen, dass sie damit ihre ständig kalten Füße wärmen konnte. Das Mädchen trug eine schlabbrige graue Jogginghose und ein Shirt.
    »Du starrst mich an, als sei ich ein Gespenst«, sagte es und streckte ihr die Hand entgegen.
    War das etwa verwunderlich, wenn sie sich nach Mitternacht in Julias Zimmer schlich, ohne anzuklopfen oder sich sonst irgendwie bemerkbar zu machen?
    Doch statt das laut auszusprechen, holte Julia tief Luft, setzte sich auf und quetschte sich zum hundertsten Mal in den vergangenen Stunden ein Lächeln ins Gesicht.
    Die mit Sommersprossen übersäte Hand, die sich Julia jetzt entgegenstreckte, fühlte sich kalt an wie die Haut eines toten Huhns, das soeben gerupft worden war.
    Das Mädchen leckte sich die Lippen und zog den Rotz in ihrer Nase hoch. »Tut mir leid, aber ich habe geklopft. Ich dachte, du kannst sicher nicht schlafen und hast vielleicht Lust auf ein bisschen Gesellschaft.«
    Ehrlich gesagt, glaubte Julia ihr kein Wort, dennoch erwiderte sie: »Na ja, ich kann tatsächlich nicht schlafen.«
    »Klar, ist ja alles neu für dich.«
    Dagegen gab es nichts zu sagen. Aber Julia hatte auch keine Gelegenheit, etwas zu erwidern, denn die andere plapperte schon weiter. Die Niagarafälle waren ein Rinnsal dagegen.
    »Ich kann dir alles über das Grace erzählen, was du wissen willst. Am Anfang ist es hier ziemlich
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