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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel
Autoren: Krystyna Kuhn
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ihrem Geschrei konnte sie erahnen, dass sie über ihren Köpfen kreisten. Für einen Moment wurden sie lauter, bis das Krächzen plötzlich schwächer wurde.
    Die Vögel flüchteten aus dem Tal.
    Etwas oder jemand hatte sie erschreckt.
    Am liebsten wäre Julia mit ihnen geflohen.

Kapitel 2
[A wie Ankunft]
    Die Luft im Zimmer war fürchterlich stickig. Robert fiel es schwer zu atmen. Der Weg vom Pass hinunter war nicht weit gewesen – das Grace lag immer noch knapp über zweitausend Meter. Anfang Mai musste es in dieser Höhe frostige Nächte geben, stattdessen schwitzte er. Aber Robert wusste, dass es nicht an den Außentemperaturen lag.
    Seine Gedanken schweiften ab. Sie flohen vor dem lauten Echo der Erinnerungen. Er wusste es, konnte es aber nicht ändern. Es wurde zunehmend schlimmer. Seine Gedanken jagten durch die gewundenen, labyrinthartigen Korridore seines Gehirns. Alles nur Biologie, dachte er, Chemie, Synapsen.
    Aber warum konnte er sie dann nicht steuern?
    Was war anders?
    Und auch diese Frage konnte er nicht festhalten. Stattdessen überfiel ihn wieder eine jener blitzartigen Einsichten, die ihn zu Tode ängstigten. Er konnte durch die Dinge hindurchsehen und dahinter nahm er eine andere Welt wahr, die vielleicht harmlos war, vielleicht aber auch Gefahren barg.
    Robert hatte sich schon beim Anblick des Collegekomplexes unerträglich niedergeschlagen gefühlt.
    Unerträglich, weil er dieses Gefühl niemandem mitteilen konnte und weil es keinen gab, der ihn trösten, keinen, der ihm Glauben schenken würde.
    Er starrte durch das Fenster seines kleinen Zimmers hinaus in die fremde Landschaft. Vor dem schwarzen Himmel, dessen Dunkelheit mittlerweile durch das grelle Licht des Mondes verstärkt zu werden schien, erhob sich im Südosten die Silhouette des höchsten Gipfels.
    Der Berg hieß Ghost. Er hatte Alex gefragt.
    Ein seltsamer Name und dennoch passend.
    Der Ghost bestand aus drei zusammenhängenden Gipfeln, von denen der mittlere die anderen beiden rechts und links um mehrere Hundert Meter überragte. Wie in ein graues Tuch gehüllt erhob sich die Bergkette über dem Tal und dem Lake Mirror, dem Spiegelsee.
    Robert kniff die Augen hinter den Brillengläsern zusammen. Der mittlere Gipfel sah tatsächlich aus wie das Gesicht eines Gespenstes. Die dunklen Linien rechts und links wirkten wie zwei Augenschlitze im hellen Geistertuch. Und die Nebengipfel ähnelten in der Dunkelheit zwei Armen, die den See zu umarmen schienen.
    Hör auf damit, sagte Robert zu sich selbst und versuchte vergeblich, seinen Atem zu beruhigen. Er lauschte dem Wasser, das leise gegen die Uferbefestigung schwappte. Der See war so nah, dass man ihn selbst bei geschlossenem Fenster hören konnte, und je länger Robert lauschte, desto mehr schien es ihm, als murmele das Wasser Worte.
    Was natürlich Unsinn war.
    Totaler Humbug, rubbish, nonsense.
    Doch das schaurige Gefühl verstärkte sich. Eine Vorahnung breitete sich in ihm aus, leise und noch kaum wahrnehmbar. Flüchtig wie der leichte Windhauch, der durch die klapprigen Fensterrahmen zog und ihn trotz der stickigen Luft frösteln ließ.
    Wie immer beruhte seine Vorahnung auf etwas, das Robert irritierte. In diesem Fall war es die Architektur des Grace.
    Auf den ersten Blick handelte es sich bei dem historischen Hauptgebäude des Colleges um einen riesigen schlossähnlichen Bau, der aus einem gewaltigen Mittelkomplex und zwei Seitenflügeln bestand. Im Rücken des Hauptgebäudes lagen die modernen Bauten, das Sportcenter, der Supermarkt und die Bungalows für den Lehrkörper und die älteren Studenten, aber diese waren so geschickt in die hügelige Landschaft integriert, dass sie nicht weiter auffielen.
    Das, was Robert wirklich interessierte, war die Fassade des Hauptgebäudes. Auf den ersten Blick wirkte sie verspielt und zunächst hatten Robert die unzähligen Balkone, Dachgaupen, Arkadenbögen und Sprossenfenster verwirrt.
    Aber der erste Eindruck täuschte.
    Und die Täuschung beruhte auf Zahlen. Während Zahlen Robert normalerweise beruhigten, war nun das Gegenteil der Fall.
    2, 4, 8, 12, 16.
    Die Zahlen ängstigten ihn.
    2, 4, 8, 12, 16.
    Zwei Seitenflügel mit jeweils vier Stockwerken und acht Balkonen. Jeder der Seitenflügel wurde von zwei Treppenhäusern eingerahmt, also insgesamt vier. Das Hauptgebäude wiederum bestand aus einem riesigen verglasten Mittelteil, der Eingangshalle und Mensa beherbergte. Rechts und links davon erstreckten sich jeweils sechzehn Fenster und
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