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Online Wartet Der Tod

Titel: Online Wartet Der Tod
Autoren: Alafair Burke
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    Auf den ersten Blick nahm der Mann die Zeitungsmeldung nur flüchtig wahr, doch dann sah er genauer hin. Das Foto stach ihm ins Auge.
    Caroline Hunter hatte ihn während der vergangenen Wochen durchaus beschäftigt, aber jetzt fand er zum ersten Mal Gelegenheit, sie sich anzuschauen. Zu seiner Überraschung erinnerte sie ihn an ein Mädchen, an das nicht zu denken ihm lange Zeit sehr schwergefallen war. Stolz. Hochnäsig. Caroline Hunter sah aus wie eine Frau, die absolut von sich und ihrer Intelligenz überzeugt ist; eine Frau, die meint, dass sie tun kann, was ihr gefällt, dass sie sich nehmen kann, was sie will, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen hat.
    Der Mann hätte gern gewusst, ob Caroline Hunter so etwas wie Reue empfunden hatte, als die beiden Kugeln sie trafen. Manche Frauen mussten vielleicht auf der Straße sterben wie ein Hund, damit ihnen klar wurde, welche Folgen ihre Entscheidungen für andere hatten. Alles in ihm spannte sich an, bis er das Zeitungspapier zwischen seinen Händen zerknüllte.
    Schließlich glättete er die Seite, legte die Zeitung ordentlich auf den Frühstückstisch, trank einen Schluck Tee und blickte hinunter auf den lautlosen Verkehr hinter dem Fenster. Er lächelte. Als er den Artikel entdeckte, war ihm noch gar nicht klar gewesen, welch großartige Möglichkeit das Schicksal ihm hier bot. Die Einzelheiten mussten noch geklärt werden, aber eins stand fest: Caroline Hunter war nur der Anfang. Es würde weitere Artikel geben wie diesen, über Frauen wie sie.
     
    Dreihundertvierundsechzig Tage später leerte Amy Davis ihr zweites Glas Rotwein und dachte darüber nach, welche Ausrede sie bemühen sollte, um aus dieser Sache rauszukommen. Auf ein erstes Treffen um elf Uhr abends hätte sie sich gar nicht einlassen dürfen. Selbst gemessen an New Yorker Standards war eine derart späte Einladung ein untrüglicher Hinweis darauf, dass der Typ das Geld fürs Essen sparen, die Möglichkeit eines spontanen One-Night-Stands aber nicht ausschließen wollte.
    Doch dann hatte der Mann – er nannte sich Brad – »Angel’s Share« vorgeschlagen und nicht einen der gängigen Treffpunkte für die Fleischbeschau. Bis dahin hatte Amy die gemütliche kleine Bar im oberen Stockwerk eines einfachen japanischen Restaurants an der Stuyvesant Street für ihre persönliche Geheim-Oase gehalten. Dass Brad den Laden kannte, deutete sie deshalb als Zeichen. Dann hatte sie aus dem Fenster geschaut und den Schnee gesehen, den ersten dieses Winters. Die ersten Flocken hatten für sie immer etwas Magisches, beinahe Spirituelles. An dem riesigen Erkerfenster im »Angel’s Share« zu sitzen und zuzusehen, wie sie auf die Rasenfläche unten sanken, würde wunderbar sein, viel schöner, als sie von der Feuertreppe ihrer Wohnung im fünften Stock eines Avenue-C-Hauses zu beobachten.
    Also hatte sie es gewagt. Keines der bisherigen Wagnisse hatte sich ausgezahlt, aber das hieß nicht, dass es bei Brad nicht anders sein konnte. Im Übrigen hatte sie nichts zu verlieren als einen weiteren Abend mit ihrem Perserkater Chowhound zu Hause, inklusive Einschlafen vor dem ohne Ton flimmernden Fernseher. Es war drei Wochen her, dass sie mit all dem angefangen hatte, und Abende wie dieser waren der Preis, den sie zahlen musste, wenn sie den Richtigen jemals finden wollte.
    Eine Sekunde nachdem sie am Eingang der Bar die Stimme hinter sich hörte – »Bist du Amy?« –, hatte sie gewusst, dass die Verabredung ein Fehlschlag war. Es war eine angenehme Stimme. Tief, aber nicht barsch. Freundlich, ruhig. Genau eine Sekunde lang hatte sie Hoffnung gehegt. Diese eine Sekunde lang hatte sie geglaubt, Brad mit der angenehmen Stimme, der »Angel’s Share« kannte, der mit dem ersten Schnee zu ihrem ersten Treffen kam, könnte einen guten Begleiter für den Abend abgeben, wenn nicht mehr.
    Dann verstrich die Sekunde und sie wandte sich dem Mann zu, der zu der Stimme gehörte. In Wahrheit spielte das Aussehen für Amy keine Rolle. Das behaupteten alle von sich, aber Amy meinte es tatsächlich. Ihr Exfreund – vielleicht war er nie ein richtiger Freund gewesen, aber jedenfalls der Mann, mit dem sie sich in letzter Zeit getroffen hatte – sah verdammt gut aus, doch seit es mit ihnen vorbei war, fand sie ihn abstoßend. Diesmal ließ sie die Äußerlichkeiten außer Acht und konzentrierte sich stattdessen auf die Eigenschaften, die wirklich zählten.
    Brads Gesicht war nicht unattraktiv, aber es kam ihr auch nicht bekannt
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