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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel
Autoren: Krystyna Kuhn
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gegenüber die Glastür führt zur Küche, wobei ihr auch jede Mahlzeit in der Mensa einnehmen könnt.« Sie sah Julia an. »Was ist? Soll ich dir deine Mitbewohnerinnen noch kurz vorstellen?«
    Julia schüttelte den Kopf. »Lieber morgen«, presste sie hervor. »Ich bin ziemlich erledigt. Wir waren lange unterwegs.«
    Isabel nickte und wuchtete einen von Julias Koffern auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. »Klar, verstehe. Übrigens, du hast Glück. Euer Apartment liegt genau auf der Ecke zum Hauptflügel, also habt ihr noch Seeblick. Und du hast einen eigenen Zugang zum Balkon. Allerdings zeigt er nach Norden, das heißt, wenn es richtig zu stürmen beginnt, klappern die Fensterläden noch lauter und im Winter gibt es Eisblumen auf den Scheiben.«
    Julia trat pflichtbewusst auf die Glastür zu, hinter der der See und die mächtige Bergkulisse im trüben Licht der Außenbeleuchtung als graue Umrisse zu erkennen waren.
    »Ja, wirklich toll!« Julia nickte und schob sich ein Lächeln ins Gesicht. Sie lächelte, als Isabel ihr Bettwäsche und einen Stapel Handtücher in die Hand drückte, ihr die Schränke zeigte und einen Orientierungsplan auf den Schreibtisch legte. Und sie lächelte immer noch, als die ältere Studentin ihr die Hausordnung mit den Worten überreichte: »Regeln am Grace sind dazu da, eingehalten zu werden.«
    Ehrlich, Julia hatte Angst, ihre Mundwinkel würden auf halber Höhe einrasten und sie müsse ihr Leben lang dieses Grinsen im Gesicht tragen.
    Aber sie riss sich zusammen und bedankte sich. Doch sobald Isabel das Zimmer verlassen hatte, warf sie sich auf das Bett, dessen Matratze fast bis zum Boden durchhing, und starrte in die Luft.
    Dieses Zimmer war winzig. Und geschmacklos. Einfach schrecklich! Soweit sie wusste, war das Gebäude um die vorletzte Jahrhundertwende entstanden. In den Siebzigerjahren hatte man es zum College umfunktioniert. Seitdem schien nicht mehr viel gemacht worden zu sein, zumindest nicht hier in den Seitenflügeln und Apartments.
    Julia gruselte sich vor den künstlichen Schnitzereien an der Zimmerdecke und war überzeugt, das Klappern der Fensterläden würde chronischen Tinnitus, die wurmstichige Holztäfelung Atemnot und der Teppichboden Neurodermitis hervorrufen. Und erst diese Möbel. Direkt aus den Siebzigern, aber keine Spur von coolem Retro. Das Einzige, was ihr gefiel, war der braune Sessel direkt vor der Balkontür.
    Aber sonst! Ein hölzerner Stuhl. Ein Schreibtisch, der Bücherstapeln kaum standhalten würde. Und wenn das Kantinenessen so war wie die Ausstattung der Zimmer, würde sie vermutlich an Unterernährung sterben.
    Nur der liebe Gott und der Innenarchitekt wussten, welche Giftstoffe beim Bau dieses Gebäudes verwendet worden waren, um diese Materialien für die Ewigkeit zu erhalten. Und Mum – Mum hätte sie auf der Stelle mit nach Hause genommen und sie einer homöopathischen Vollbehandlung unterzogen.
    Mum.
    Julia fühlte sich in einen quälenden Albtraum versetzt, in dem die Zeit rückwärtslief. Es war verrückt, sie sah tatsächlich vor ihrem inneren Auge die Zeiger der Uhr rasen.
    Nur in die falsche Richtung.
    Julia konnte den fürchterlichen Streit einfach nicht vergessen. Dad hatte gebrüllt, Mum hatte versucht zu schlichten.
    »Du kannst sie nicht festbinden«, hatte sie gesagt. Wie immer, wenn sie aufgeregt war, kam ihr englischer Akzent noch stärker durch. Julias Mum stammte aus Bristol.
    »Ich muss sie auch nicht festbinden, denn ich hoffe doch, ich habe ihr genug Verstand mitgegeben, um sie daran zu hindern, sich mit Leuten zu umgeben, die nicht den Dreck unter ihren Schuhen wert sind. Schau sie dir an. Unsere Tochter. Wie sie aussieht. Ist sie das überhaupt noch, meine Tochter?«
    Und Julia hatte sich umgedreht, die Tür hollywoodlike hinter sich zugeknallt, war in ihr Zimmer gerannt und hatte sich später aus dem Haus geschlichen, um Kristian zu treffen. Kurz, sie hatte getan, was alle Jugendliche in ihrem Alter tun sollten: Sie zog ihr Ding durch. Sie setzte ihren Eltern eine deutliche Grenze und ließ sie einfach stehen.
    Jetzt im Nachhinein wusste sie, dass es ein Fehler gewesen war! Verdammt – wie viel einfacher wäre es, wenn man das Unglück sehen könnte, das auf einen zukommt.
    *
    Kopfschmerzen.
    Fucking Kopfschmerzen.
    Julia setzte sich auf, tastete im Dunkeln nach dem neuen Handy und drückte irgendeine Taste. Das Display zeigte 01:23 Uhr.
    Sie hatte es nicht geschafft, sich auszuziehen, lag auf dem unbequemen Bett und
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