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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel
Autoren: Krystyna Kuhn
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mit dieser eingebildeten Zicke Isabel herumschlagen. Die denkt, sie sei sonst wer, nur weil ihre Eltern hier am College unterrichten. ›Regeln sind dazu da, eingehalten zu werden‹«, äffte sie die ältere Studentin nach, und Julia musste zugeben, dass es täuschend echt klang. »Als ob sie unsere Mutter wäre. Aber egal. Hast du schon gehört, am Donnerstagabend …«
    Ein lautes Knacken unterbrach Debbies Redefluss, gefolgt von einem Sirren, das irgendwo aus den Tiefen des alten Gebäudes zu kommen schien. Und dann plötzlich ging das Licht aus. Mit einem Mal herrschte völlige Dunkelheit im Zimmer und vollkommene Schwärze draußen.
    »Hilfe! Was ist jetzt schon wieder los?«
    Julia fühlte eine Hand, die sich an ihre Schulter klammerte.
    »Oh Gott!« Debbies Stimme war am absoluten Limit ihrer Leistungsfähigkeit, als sie wisperte: »Dunkelheit! Seit meiner Kindheit fürchte ich mich davor. Ich glaube nämlich an Nachtwesen, verstehst du. Wesen, die nur in der Finsternis existieren!«
    Debbie klang so, als sei sie tatsächlich überzeugt von dem, was sie hier von sich gab. Am liebsten hätte Julia laut aufgelacht, doch in der nächsten Sekunde hörte sie einen neuen Laut, und sie erschrak so heftig, dass sie sich auf die Lippen biss.
    Es war ein Schrei, der durch die Collegeflure gellte, und eines war sicher: Er hatte nichts Menschliches an sich. Es war die pure Verzweiflung, die sich die Seele aus dem Leib schrie.

Kapitel 4
    Als das Licht wieder anging, hatte Debbie bereits die Tür aufgerissen und stürmte in den Vorraum des Apartments, von dem aus ein Durchgang zum Hauptflur führte. Julia folgte ihr, von einer Vorahnung getrieben, die sie nicht genau benennen konnte. Direkt neben ihrem Zimmer stand ein hochgewachsenes, schlankes Mädchen in der Tür. Ihr Kopf war kahl rasiert, doch Julia machte sich keine weiteren Gedanken darüber. Genauso wenig beachtete sie das andere Mädchen, das verschlafen aus dem hintersten Zimmer trat. Es strich das lange schwarze Haar nach hinten und auf seinem Gesicht lag ein ungeduldiger Ausdruck. Das musste das asiatische Mädchen sein, über das Debbie gelästert hatte.
    Das Licht flackerte erneut, ging kurz aus und wieder an, seltsam gedämpft diesmal. Julia rannte durch den Vorraum in den Hauptflur und sah sich gehetzt um.
    Vier Apartments lagen sich jeweils gegenüber. Aus ihnen tauchten nun die blassen verschlafenen Gesichter unbekannter Mädchen auf. Die Arme um sich geschlungen, zitterten sie vor Kälte.
    »Weiß einer von euch, was das war?«, rief Debbie und hob theatralisch die Hände.
    »Keine Ahnung! Aber irgendwas muss passiert sein! Ich bin richtig aus dem Schlaf geschreckt!«, antwortete ein Mädchen im Nachthemd, das die Haare in blaue Papilloten gedreht hatte, aufgeregt.
    Die Angst, von der Debbie noch vor ein paar Sekunden gesprochen hatte, hatte sich plötzlich in Luft aufgelöst. Stattdessen war sie offenbar ganz in ihrem Element. Ja, sie schien das Ganze sogar zu genießen. »Was meint ihr, Leute? Kam der Schrei von draußen?«, fragte sie aufgeregt. »Oder von unten? Oh, mein Gott, ich dachte echt, ich mach mir in die Hose vor Panik!«
    Isabel tauchte hinter dem Papillotenmädchen auf und sagte: »Hey, ganz ruhig, Mädels. Am besten geht ihr einfach zurück auf eure Zimmer.«
    Aber Debbie lief an ihr vorbei, ohne sie zu beachten: »Ich tippe auf das Stockwerk unter uns!«
    Sie rannte den Flur entlang ins Treppenhaus. Julia heftete sich an ihre Fersen.
    Dieser Schrei – noch immer gellte er in ihren Ohren. Er schwebte über ihr, hatte sich in der Holzvertäfelung eingenistet, legte sich über die Balken an der Decke, hing in den Fasern der Teppiche.
    Und dann dieses Getuschel um sie herum. Das hysterische Kichern, irgendjemand murmelte sogar ein Gebet – oder drehte sie jetzt völlig durch? Sie schloss für eine Sekunde die Augen. All das war wie der Hintergrundchor zu dieser hohen schrillen Stimme, die einfach nicht aufhören wollte zu schreien. Konnte nicht jemand dieses Schreien ausschalten?
    Endlich auf Stopp drücken?
    Doch dann begriff Julia.
    Sie las es in den Gesichtern der anderen, die sich allmählich entspannten und teilweise wieder in ihre Zimmer zurückkehrten. Sie, Julia, war die Einzige, die den Schrei noch immer hörte.
    Und – nicht der gellende Laut an sich hatte sie vor wenigen Minuten zu Tode erschreckt. Nein, es war der Schrei aus der Vergangenheit, der in ihren Ohren widerhallte. Er war ihr hierher ins Tal gefolgt.
    Und nun wusste
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