Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M.
Autoren: Catherine Millet
Vom Netzwerk:
weiblichen Orgasmus handelt. Ich war schon über dreißig, als ich einmal mit einem Freund ein intimes Gespräch hatte – was in meinem Leben nur äußerst selten vorkam. Er wollte wissen, woran man erkennt, dass eine Frau gekommen ist: »Wenn sie Kontraktionen hat? Ist das der einzige Beweis?« Zögerlich, aber schließlich wollte ich nicht als Idiotin dastehen, sagte ich: »Ja.« Und bei mir dachte ich: Das ist es also! Bis dahin hatte ich die Zeichen, die mein Körper ausgesandt hat, nicht als solche identifiziert, selbst wenn ich mit der bekannten Präzision masturbierte. Da ich mich nicht wissentlich darum kümmerte, was sie bedeuteten, konnte ich sie auch nicht als entsprechende Zeichen erkennen. Bestimmte Berührungen taten mir gut, bestimmte Stellungen waren besser als andere – Punkt. Es ist kein Zufall, dass ich diese sachlich kurze Unterhaltung mit einem Mann führte, mit dem ich keinen sexuellen Kontakt hatte, und ich begreife heute, warum sie den Keim einer Unruhe in mich legen konnte, der Jahre, viele Jahre brauchte, um zu dieser Unzufriedenheit zu wachsen, von der ich am Ende des ersten Kapitels sprach.
    Wie ich auch schon sagte, bestand für mich das Onanieren zunächst und über lange Zeit nicht darin, die Klitoris direkt zu reizen, sondern die Schamlippen aneinander zu reiben. Natürlich wusste ich über die Klit Bescheid, aber ich musste mich nicht um sie kümmern, um Lust zu empfinden. Ich gehöre der Generation von Frauen an, für die die feministischen Schriften zum Ziel hatten, sie zur Entdeckung ihres Körpers zu führen. Ich betrachtete mein Geschlecht über einem Spiegel, erhielt aber nur einen konfusen Blick. Vielleicht hatte ich Schwierigkeiten, einer sehr wissenschaftlichen Beschreibung zu folgen. Vielleicht hatte ich Vorurteile gegenüber feministischen Vorstößen, denn ich fand, sie seien für Frauen, die in sexueller Hinsicht Hemmungen oder Schwierigkeiten hatten – was mich nicht betraf, denn Vögeln war einfach für mich: Natürlich vögelte ich aus Lust, aber vögelte ich nicht auch, weil das Vögeln kein Problem sein sollte? Jenes Mal hatte ich vielleicht unbewusst die Schenkel geschlossen, wie man ein medizinisches Wörterbuch schließt, aus Angst, die beschriebenen Krankheiten bei sich selbst zu finden, und aus Angst, man müsse bestimmte lieb gewonnen Gewohnheiten aufgeben …
    Ich hatte Recht. Als ich mich viel später eingehend damit beschäftigte, quoll die Unruhe nur so hervor. Den Mann, mit dem ich damals schlief, und auch einen zweiten danach konfrontierte ich mit der fixen Idee, dass ich beim Vögeln genau die gleichen Kontraktionen haben müsse wie beim Masturbieren. Hatte ich ausreichend Kenntnis meines Körpers, um zu diesem Schluss zu gelangen? Und – als stünde mein Sexleben erst am Anfang, als stellte ich mir diese naiven Fragen, nachdem ich Erfahrung gesammelt und sie wieder vergessen hatte – zweifelte ich plötzlich an der Empfindsamkeit meiner Klitoris. Reagierte tatsächlich sie, wenn ich mich mit wildem Finger heiß rieb? Ich glaubte sogar, dass ich gar keine Klit hätte oder dass sie verkümmert wäre. Ein Mann mit den besten Absichten, der allerdings ungeschickt war und dessen Finger ständig abrutschte, half mir nicht. Schließlich beugte ich mich den Tatsachen: Die Klitoris war kein lebendiger Punkt, so sichtbar wie ein Nagel in der Wand, ein Kirchturm auf dem Land oder die Nase mitten im Gesicht, es war eine Art wirrer, ungestalter Knoten, ein winziges Chaos, das sich am Punkt des Zusammenstoßens zweier kleiner Fleischzungen ergibt, ähnlich der Brandung, die zwei Wellen gegeneinander schlagen lässt.
    Das einsame Vergnügen ist beschreibbar, die Lust beim Zusammensein entzieht sich der Schilderung. Im Gegensatz zu dem, was passiert, wenn ich mir selbst einen Orgasmus mache, sage ich mir nie, wenn ich mit jemandem zusammen bin: »Jetzt kommt’s!« Kein Auslöser, kein Blitz. Eher das langsame Eintauchen in einen schmelzenden Zustand puren Empfindens. Das Gegenteil einer lokalen Narkose, die die Empfindsamkeit unterdrückt, den Geist jedoch nicht betäubt, ist mein ganzer Körper nur noch der Rand einer klaffenden Spalte, während das Bewusstsein benebelt ist. Selbst wenn ich mich von selbst noch bewege, dann geht es automatisch, auch wenn ich in einem letzten Reflex von Soziabilität noch fragen kann: »Es macht doch nichts, wenn ich mich nicht mehr bewege?« Ist es die Fülle? Eher ein Zustand kurz vor der Ohnmacht. Das Gefühl, der Körper
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher