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Die Lazarus-Formel

Die Lazarus-Formel

Titel: Die Lazarus-Formel
Autoren: Ivo Pala
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PROLOG
    Du sollst nicht töten ! In dieser Nacht würde er das fünfte Gebot brechen. Nicht zum ersten Mal. Die Strafe dafür nahm er bereitwillig in Kauf, denn er war sicher, Gott würde die Tat gutheißen. Es war ein Akt des Glaubens.
    Vom Waldrand aus beobachtete der Mann in der Kutte das nahe gelegene Kloster durch das Fadenkreuz seiner antiken, aber hervorragend in Schuss gehaltenen Armbrust. Der glatt polierte Eibenholzbolzen glänzte schwarz wie Onyx im Mondlicht und zielte abwechselnd auf den Kopf der jungen Frau und den des Ordensbruders, die sich hinter dem obersten Fenster des Turms ein heftiges Wortgefecht lieferten. Dessen Inhalt war aus der Entfernung natürlich nicht zu verstehen, allerdings konnte der Schütze die Angst aus den hektischen Bewegungen des Ordensbruders herauslesen, mit denen er gerade einige wenige Sachen in einen alten, speckigen Leinenbeutel und einen kleinen ledernen Rucksack packte.
    Der Bolzen würde ihr gleich ein Ende bereiten, dieser Angst – und auch der Möglichkeit, dass der eilig packende Ordensbruder das Geheimnis verriet, das zu schützen der Mann mit der Armbrust gekommen war. Die junge Frau würde beiden gleich darauf folgen – dem Ordensbruder und dem Geheimnis. In den Tod. Sie wusste zu viel.
    Doch noch verharrte der behandschuhte Finger über dem Abzug. Es durften keine Spuren zurückbleiben. Sonst würden Neue folgen, die Fragen stellen und der Wahrheit zu nahe kommen würden, und wieder würde das Töten beginnen, um die natürliche, von Gott gegebene Ordnung der Dinge aufrechtzuerhalten. Deshalb eilte gerade ein zweiter Mann mit Kutte und tief ins Gesicht gezogener Kapuze über den Hof des Klosters zum Fuß des Turms, in seiner Hand einen Kanister.
    Nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Ordensbruder und die junge Frau im Turmzimmer noch einige Zeit mit Packen und Diskutieren beschäftigt sein würden, verfolgte der Schütze im Visier seiner Armbrust, wie sein Gefährte den Turm erreichte und diesen leise betrat. Ganz nach Plan.
    Noch war das vergitterte Fenster im Erdgeschoss dunkel, sodass nicht zu sehen war, was dahinter vor sich ging. Dennoch wusste es der Schütze: Der andere schüttete gerade den Inhalt des Kanisters über die wenigen Möbel, die Dielen und die ersten Stufen der Treppe. Das alte Holz würde brennen wie Zunder.
    Endlich war es so weit.
    Im unteren Fenster flackerte ein kleines Licht auf. Ein Streichholz, vielleicht auch ein Feuerzeug. Die winzige Flamme fand erste Nahrung an einem Vorhang, dann sofort weitere und wuchs innerhalb von Sekunden zu einem riesigen, gefräßigen Monster heran. Der Mann mit dem Kanister eilte ins Freie und schob, nachdem er sie geschlossen hatte, einen Keil unter die nach außen aufgehende Tür.
    Der Schütze widmete sich wieder seinen beiden Zielen in der obersten Kammer. Weder der Ordensbruder, der gerade ein kleines altes Notizbuch in den Rucksack steckte, noch die junge Frau, die aufgeregt auf ihn einredete, hatten gemerkt, dass das untere Stockwerk des Turms in Flammen stand. Und obwohl er persönlich der Meinung war, dass die beiden, die all das verhöhnten, woran er glaubte, diese Gnade nicht verdient hatten, würde der Schütze dafür sorgen, dass sie auch nie von den Flammen erfahren würden; dass sie tot wären, ehe sie verbrannten.
    Er zielte zwischen die Augen des Ordensbruders, atmete tief und ruhig ein und aus und krümmte den Finger am Abzug.

1
    17 Stunden zuvor.
Universität von Oxford.
Labor für naturheilkundliche Krebsforschung.
    Eve Sinclair war über ihrer Arbeit eingeschlafen. Sie lag mit dem Oberkörper auf ihrem Schreibtisch und hielt sogar noch den Stift in der Hand. Man sah ihr die Erschöpfung an, ihre junge Stirn lag in Falten, ganz so, als würde sie selbst noch im Schlaf an der Lösung des wissenschaftlichen Problems arbeiten, mit dem sie beschäftigt gewesen war, bevor die Müdigkeit sie übermannt hatte. Um sie herum war alles still.
    Ihr Schreibtisch stand inmitten eines wunderschönen, weitläufigen Wintergartens, zur einen Hälfte wirklicher Garten und zur anderen ein High-Tech-Labor. Durch das Glasdach sah man die Sterne am wolkenlosen Himmel. Die Gartenhälfte war bepflanzt mit Orchideen und halbhohen Eiben, an deren Stämmen kleine gläserne Sammelbehälter angebracht waren. Aus dünnen Schnitten in der Rinde der Bäumchen sickerte eine zähflüssige Substanz in die Glasbehälter.
    Plötzlich wurde die Tür zum Labor aufgestoßen, und herein rauschte eine hoch gewachsene
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