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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors
Autoren: Gene Wolfe
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immer wieder vorwärts, während die Ruder in die reißenden Schnellen droschen.
    Nachdem ich alles weiter stromabwärts Liegende betrachtet hatte, beugte ich mich über die Brüstung, um den Fluß unmittelbar unter mir und einen keine zweihundert Schritt vom Seitentor entfernten Kai zu sehen. Als ich die Schauerleute beobachtete, die dort einen der schmalen Flußkähne entluden, entdeckte ich nahebei eine regungslose, winzige Gestalt mit hellen Haaren. Zunächst hielt ich sie für ein Kind, denn sie wirkte so klein neben den stämmigen, fast nackten Arbeitern; aber es war Dorcas, die, das Gesicht in den Händen, direkt am Wasser hockte.

 
Vor der Hütte
     
    Als ich Dorcas erreichte, vermochte ich nicht, sie zum Sprechen zu bewegen. Nun war es nicht einfach so, daß sie mir grollte, obgleich ich das damals vermutete. Schweigen war über sie gekommen wie ein Gebrechen, das ihr zwar nicht Zunge und Lippen Versehrte, aber ihren Willen lähmte, diese zu gebrauchen, und vielleicht auch ihren Wunsch dazu, gleichsam wie gewisse Seuchen unser Verlangen nach Lust und sogar unser Verstehen für das Vergnügen anderer zerstören. Wenn ich ihr Gesicht nicht zum meinigen hob, blickte sie ins Nichts, starrte vor sich auf den Boden, wohl ohne ihn zu sehen, oder bedeckte das Gesicht mit den Händen, wie sie es darin vergraben hatte, als ich sie entdeckte. Ich wollte mit ihr sprechen, weil ich – damals – glaubte, ich könnte etwas sagen, obwohl ich nicht wußte, was, das aus ihr wieder die alte machte. Allerdings war es mir dort auf dem Kai unmöglich, wo uns die Schauerleute verwundert beäugten, und zunächst konnte ich keinen Ort finden, wohin ich sie hätte führen können. In einer nahegelegenen Gasse, die sich über den Hang östlich des Flusses wand, bemerkte ich ein Wirtshausschild. In der engen Gaststube speisten Leute, aber für ein paar Aes konnte ich mir im Stockwerk darüber ein Zimmer mieten, eine Kammer, die bis auf ein Bett leer war und kaum Platz für mehr Möbel geboten hätte, und deren schräge Decke so niedrig war, daß ich an einer Seite nicht aufrecht stehen konnte. Die Wirtin dachte, wir wollten das Zimmer für ein flüchtiges Schäferstündchen, was unter den gegebenen Umständen recht selbstverständlich schien, dachte sich aber anhand von Dorcas’ verzweifelter Miene zugleich, ich übte irgendeinen Druck auf sie aus oder hätte sie von einem Kuppler gekauft, denn sie warf ihr einen rührenden, mitleidigen Blick zu, den Dorcas wohl nicht im geringsten registrierte, während sie mich voller Vorwürfe ansah.
    Ich verschloß und verriegelte die Tür und forderte Dorcas auf, sich ins Bett zu legen; dann setzte ich mich neben sie und wollte sie zum Sprechen ermuntern, indem ich fragte, was mit ihr sei und was ich tun könne, um das, was sie plage, in Ordnung zu bringen und so weiter. Als ich sah, daß es keinen Zweck hatte, begann ich, über mich selbst zu reden, denn ich vermutete, was sie bewegte, ein Gespräch mit mir zu verweigern, sei ihr Entsetzen ob der Zustände in den Vincula.
    »Alle verachten uns«, sagte ich. »Es gibt also keinen Grund, warum nicht auch du mich verachten solltest. Das Überraschende ist nicht, daß du mich hassen gelernt hast, sondern daß es so lange gedauert hat, bis du wie alle anderen fühlst. Aber weil ich dich liebe, will ich versuchen, die Sache der Zunft und damit meine eigene vorzutragen, damit es dich nicht mehr quäle, einen Folterer geliebt zu haben, selbst wenn du mich jetzt nicht mehr liebst.
    Wir sind nicht grausam. Wir finden kein Gefallen an dem, was wir tun, außer es gut zu tun, was bedeutet, es schnell zu tun und weder mehr noch weniger zu tun, als das Gesetz uns vorschreibt. Wir gehorchen den Richtern, denn sie sind aufgrund der Bestimmung des Volkes im Amt. Manche sagen, wir sollten nichts von dem tun, was wir tun, und daß niemand es tun sollte. Sie sagen, eine kaltblütig verhängte Strafe sei ein größeres Verbrechen, als es unsere Klienten überhaupt begangen haben könnten.
    Es mag Gerechtigkeit darin sein, aber es ist eine Gerechtigkeit, die unsere Republik zerstören würde. Keiner könnte sich sicher fühlen und sicher sein, und zuletzt würde sich das Volk erheben – zunächst gegen die Diebe und Mörder, dann gegen jeden, der die volkstümlichen Vorstellungen von Anstand und Schicklichkeit verletzte, und schließlich gegen bloße Fremdlinge und Verstoßene. Bald hätten wir wieder die schrecklichen alten Zustände wie Scheiterhaufen und
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