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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors
Autoren: Gene Wolfe
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Finsteres, das nirgendwo sonst im Zimmer gegenwärtig war, kam über ihr Gesicht wie eines dieser wunderlichen Dinger, die Jonas und mich durch die Zedern gehetzt hatten. Sodann wollte sie mich nicht mehr ansehen und schlief nach einer Weile wahrhaftig ein.
    Ich stand auf, so leise ich konnte, entriegelte die Tür und ging über die Wendeltreppe nach unten. Die Wirtin hantierte noch in der Gaststube, aber die Leute, die sich dort aufgehalten hatten, waren schon fort. Ich erklärte ihr, daß die Dame, die ich mitgebracht hatte, krank sei, bezahlte das Zimmer für einige Tage im voraus und versprach, wiederzukommen und alle übrigen Ausgaben zu begleichen. Sie solle von Zeit zu Zeit nach ihr sehen und ihr zu essen geben, falls sie etwas wolle.
    »Ach, welch ein Segen, daß jemand in dem Zimmer schläft«, meinte die Wirtin. »Aber ist denn, wenn dein Liebchen krank ist, das Entennest wirklich der beste Ort, den du ihr bieten kannst? Kannst du sie nicht mit heim nehmen?«
    »Ich fürchte, gerade das Wohnen in meinem Haus hat sie krank gemacht. Zumindest will ich nicht riskieren, daß es schlimmer wird, wenn ich sie dorthin bringe.«
    »Armes Ding!« Die Wirtin schüttelte den Kopf. »Und wie hübsch sie ist, und fast noch ein Kind. Wie alt ist sie denn?«
    Ich sagte ihr, das wisse ich nicht.
    »Also gut, ich werd’ mal zu ihr gehn und ihr ’ne Suppe bringen, wenn sie soweit ist.« Sie sah mich an, als wollte sie sagen, daß es bald soweit wäre, wäre ich erst fort. »Aber laß dir sagen, daß ich sie nicht für dich hier festhalte. Sie kann gehen, wann immer sie will.«
    Als ich aus dem kleinen Gasthaus trat, wollte ich auf dem schnellsten Weg in die Vincula heimeilen; allerdings unterlief mir der Irrtum zu glauben, da die schmale Gasse, in der das Entennest stand, fast südlich verlief, es ginge schneller, ihr zu folgen und weiter unten den Acis zu überqueren, anstatt wieder die Treppe zu besteigen, die Dorcas und ich heruntergekommen waren, und zum Fuß der Seitenmauer von Burg Acies zurückzukehren.
    Die enge Gasse täuschte mich, wie ich mir hätte denken können, wäre ich mit den Wegen von Thrax besser vertraut gewesen. Denn all die krummen Gassen, die sich über die Hänge schlängeln, verlaufen im Grunde – auch wenn sie sich kreuzen – auf und ab; will man von einem in den Fels geduckten Haus zum nächsten gelangen, muß man (falls sie nicht dicht beisammen oder übereinander liegen) hinunter zum Fluß und wieder hinauf gehen. So fand ich mich also bald so hoch im östlichen Steilhang wie die Vincula im westlichen, und die Aussicht heimzufinden war geringer als beim Aufbruch aus dem Gasthaus.
    Offengestanden war mir diese Feststellung nicht ganz unliebsam. Daheim wartete Arbeit auf mich, zu der ich keine besondere Lust hatte, denn mich beschäftigte noch die Sorge um Dorcas. Mir war danach zumute, meine Frustration durch Beinarbeit zu verjagen, also entschloß ich mich, der krummen Gasse notfalls bis zum oberen Ende zu folgen, die Aussicht auf die Vincula und Burg Acies zu genießen und dann einem der Wächter an den dortigen Befestigungsanlagen mein Dienstabzeichen zu zeigen, um dort entlang zum Capulus zu gehen und den Fluß am untersten Steg zu überqueren.
    Aber nach einer mühsamen halben Wache stellte sich heraus, daß ich weiter nicht käme. Die Gasse endete vor einer drei bis vier Ketten hohen Felswand und hatte vermutlich schon früher geendet, denn die letzten zwanzig Schritt stellten wohl nicht mehr als einen Privatweg zur dürftigen Hütte aus Lehm und Reisiggeflecht dar, vor der ich stand.
    Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß kein Weg um sie herum und kein Steig in der Nähe weiter hinauf führte, wollte ich mich schon verärgert umdrehen, als ein Kind aus der Hütte schlüpfte, sich halb kühn, halb furchtsam an mich heranmachte, wobei es mich nur aus dem rechten Auge beguckte und mir in der überall anzutreffenden Bettlergeste die kleine, sehr schmutzige Hand entgegenstreckte. Vielleicht hätte ich über das arme kleine Geschöpf, das sich mir so scheu und bedrängend näherte, gelacht, wäre ich besser gelaunt gewesen; jedenfalls ließ ich ein paar Aes in die dreckigen Fingerchen fallen.
    Davon ermutigt, begann das Kind: »Meine Schwester ist krank. Sehr krank, Sieur.« Der Stimme nach zu urteilen, war es ein Knabe; und weil er mir beim Sprechen das Gesicht fast ganz zukehrte, konnte ich sehen, daß sein linkes Auge entzündet und zugeschwollen war. Eitrige Tränen waren
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