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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors
Autoren: Gene Wolfe
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Steinigung, wobei jeder versuchte, seinen Nachbarn zu übertreffen, aus Furcht, man könnte ihn morgen verdächtigen, mit dem armen Tropf, der heute stirbt, zu sympathisieren.
    Wieder andere sagen, bestimmte Klienten verdienten die schlimmste Strafe, während andere zu schonen seien, und daß wir uns weigern sollten, bei letzteren unseres Amtes zu walten. Es wird gewiß so sein, daß manche sich schuldiger als andere gemacht haben, und es mag sogar sein, daß einige von denen, die uns ausgeliefert werden, überhaupt keine Schuld trifft – weder in der vorgeworfenen Sache noch in irgendeiner anderen.
    Aber die Leute, die für so etwas eintreten, erheben sich lediglich zum Richter über die Richter, die der Autarch eingesetzt hat, obwohl sie in der Rechtskunde weniger bewandert sind und nicht befugt sind, Zeugen zu bestellen. Sie fordern, daß wir den echten Richtern nicht gehorchen und auf sie hören, obgleich sie nicht zeigen können, daß sie unseren Gehorsam eher verdienen.
    Wieder andere verlangen, daß unsere Klienten überhaupt nicht gefoltert oder hingerichtet werden, sondern für die Republik arbeiten sollten, indem sie Kanäle grüben, Wachttürme bauten und so fort. Aber mit den Kosten für ihre Wächter und Ketten ließen sich ehrliche Arbeiter bezahlen, die ansonsten ohne Broterwerb blieben. Warum sollten diese fleißigen Arbeiter hungern, damit Mörder nicht stürben und Diebe keinen Schmerz erlitten? Obendrein würden diese Mörder und Diebe, die dem Gesetz nicht treu ergeben wären und keine Hoffnung auf Entlohnung hätten, nur arbeiten, wenn sie die Peitsche im Rücken fühlten. Und was wäre das anderes als Folterung unter einem neuen Namen?
    Wieder andere sagen, daß die Verurteilten in Gewahrsam kommen sollten, ohne Entbehrungen und Schmerz – jahrelang und oft bis zum Ende ihres Lebens. Aber Menschen ohne Entbehrungen und Schmerzen leben lange, und jedes Orikalkum, das zu ihrem Unterhalt dient, müßte von besseren Verwendungen abgezogen werden. Ich weiß wenig über den Krieg, aber ich verstehe genug, um zu wissen, wieviel Geld für Waffen und Sold gebraucht wird. Der Kampf findet in den nördlichen Bergen statt, so daß wir wie hinter hundert Mauern kämpfen. Was aber, wenn er sich bis in die Pampas verlagerte? Könnten wir die Ascier zurückhalten, wenn sie so breiten Raum für ihre Manöver hätten? Und wie wollte man Nessus ernähren, sollten die dortigen Viehherden in ihre Hände fallen?
    Wenn die Schuldigen nicht entbehrungslos einzusperren und nicht zu foltern sind, was bleibt dann noch? Würden sie getötet, allesamt getötet, dann gälte das arme Weib, das gestohlen hätte, als genauso schlimm wie die Mutter, die das eigene Kind vergiftete, wie Morwenna von Saltus es getan. Möchtest du das? In Friedenszeiten würden viele verbannt. Aber verbannte man sie jetzt, spielte man den Asciern nur ein Heer von Spitzeln zu, die nach entsprechender Schulung und Ausstattung mit Mitteln zu uns zurückgeschickt würden. Bald könnte man keinem mehr über den Weg trauen, selbst wenn er unsere Sprache spräche. Möchtest du das?«
    Dorcas lag so still auf dem Bett, daß ich schon glaubte, sie sei eingeschlafen. Aber ihre Augen, diese großen, makellos blauen Augen, waren offen; und als ich mich über sie beugte, bewegten sie sich und betrachteten mich eine Weile, als verfolgten sie die sich ausbreitenden Wellen in einem Teich.
    »Nun gut, wir sind Teufel«, sagte ich, »wenn du unbedingt willst. Aber wir sind notwendig. Sogar die Mächte des Himmels halten es für nötig, Teufel einzusetzen.«
    Tränen traten in ihre Augen, obschon ich nicht wußte, ob sie weinte, weil sie mir Unrecht getan hatte oder weil ich noch anwesend war. In der Hoffnung, ihre alte Liebe zurückzugewinnen, begann ich von der Zeit zu erzählen, da wir noch gen Thrax unterwegs gewesen waren, und erinnerte sie daran, wie wir uns nach der Flucht aus den Anlagen des Hauses Absolut auf der Lichtung getroffen hatten, wie wir vor Dr. Talos’ Spiel in den großen Gärten geredet hatten, durch den blühenden Obstgarten gegangen waren und auf einer alten Bank an einem verfallenen Brunnen gesessen hatten; ich wiederholte, was sie zu mir und ich zu ihr gesagt hatte.
    Und mir war, als nähme ihr das ihren Kummer ein bißchen, bis ich den Brunnen erwähnte, dessen Wasser aus dem zerbrochenen Becken in kleine Rinnsale, von irgendeinem Gärtner zum Tränken der Bäume angelegt, abgeflossen war, um schließlich im Boden zu versickern. Etwas
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