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Die verschollene Symphonie

Die verschollene Symphonie

Titel: Die verschollene Symphonie
Autoren: James A. Owen
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PROLOG
Die Düne
     
    Der hagere alte Mann mit den kalten Augen und den markanten Gesichtszügen stieg vorsichtig über die Büsche am Rand des Strandes. Mit einem beschwerlichen Ächzen ließ er sich in den Dünen nieder. Von Norden her wehte eine kräftige Brise, die seinen weißen Überwurf aufbauschte. Das Symbol, das vielfach darauf gestickt war, verschwand in den Falten. Ein Betrachter hätte es vielleicht für eine auf dem Bauch liegende Acht gehalten. Die wahre Bedeutung des Symbols hätte wohl das Verständnis selbst des klügsten Fragestellers überstiegen. Glücklicherweise war niemand anwesend, der sich über den Kleidergeschmack des alten Mannes hätte wundern können. Im Umkreis von mehreren Kilometern existierte keine Menschenseele.
    Dem alten Mann kam der Gedanke, dass er vielleicht ganz allein auf der Welt war.
    Er zog seine Schuhe aus, schritt den Abhang zum Wasser hinunter und hinterließ eine unregelmäßige Spur aus Fußabdrücken. Der Sand war feucht durch den Platzregen von vor einer Stunde; er war aus dicken, zinngrauen Wolken gefallen, die sich noch immer am Horizont ballten.
    Er fragte sich, ob dieses Wetter in dieser Region und zu dieser Jahreszeit üblich war, und grübelte weiter, ob es wohl am anderen Ende der Schlaufe anders wäre; dies wiederum führte ihn schließlich zu Überlegungen über geologische Veränderungen und den Strom der Gezeiten.
    Er schüttelte diese Gedanken ab. Es hatte sich erst seit kurzem eingeschlichen, dieses nachlässige, unpräzise Denken. Wenn er ihm zu häufig nachgab, konnte das sein Urteilsvermögen schwächen und damit auch den Zweck seiner Reise gefährden. Bei der Vorstellung weiterer Reisen seufzte er schwer – er trug die Bürde allzu hohen Alters und hatte doch in einer voraussichtlich begrenzten menschlichen Lebensspanne noch zu viele Ziele zu erreichen. Wäre er jünger gewesen – sagen wir, erst zweihundert Jahre alt –, hätte ein so einfacher Auftrag wohl keine Herausforderung dargestellt, ganz gleich, wie viele Einsätze er erfordern würde und wie monoton sie erscheinen mochten. Natürlich war auch er einmal jünger gewesen, aber der Lösung des aktuellen Problems hatte ihn das dennoch nicht näher gebracht.
    Er griff in seine Tasche und zog den Zeitmesser hervor, der summte und Zahlen anzeigte, die auf ein Ereignis verwiesen, das noch in der Zukunft lag. Er nahm die Anzeige mit einem zufriedenen Grinsen zur Kenntnis und steckte das Gerät wieder ein. Sein Blick glitt über das, was eines Tages die Lagune von Langebaan werden würde, etwa einhundert Kilometer nördlich vom künftigen Kapstadt. Die Luft roch nach Salzwasser und umwehte ihn in wiederkehrenden Mustern, wenn sie von der Steilküste hinter ihm abprallte und über die Dünen zurückgeworfen wurde. Der graue Sand unter seinen Zehen war kühl und weich, und er fragte sich, was mit den Fußabdrücken, die er hinterließ, wohl geschehen mochte. Würde die Brandung sie fortwaschen? Oder würde irgendein Tier sie verwischen – ein Tier, das über ein anderes, kleineres Tier herfiel, welches sich zu seinem Pech auf den unteren Stufen der Nahrungskette befand?
    Die Füße des alten Mannes waren ziemlich klein. Wenn die Abdrücke nicht ausgelöscht wurden, würden sie vielleicht bis in kommende Jahrhunderte überdauern und für die Spuren des Vorfahren einer frühen Kultur gehalten werden. Irgendjemand würde wahrscheinlich einen Abguss davon machen und ihn in ein Museum stellen. Tausende von Menschen aus aller Welt würden herbeiströmen, um sich den Abguss anzusehen und auf einer kleinen Messingtafel zu lesen, dies seien die Fußabdrücke des Erfinders der Papierherstellung oder des Essbestecks oder eine ähnliche, bemerkenswert unwissende Prophezeiung. Und das nur, weil die Fußspuren zufälligerweise älter waren, als die jeweilige Kultur, die sie finden würde. Dabei konnten sie ebenso gut von jemandem stammen, der – auf der Jagd nach einem Kaninchen für sein Abendessen – zum Wasser hinuntergelaufen war um zu pinkeln. (Er runzelte nachdenklich die Stirn: Gab es in Afrika Kaninchen?)
    Sie würden wahrscheinlich auch glauben, dass die Spuren von einer Frau stammten, wegen ihrer geringen Größe. Von einer erstaunlich alten Frau. Eva möglicherweise.
    Das war eigentlich eine recht lustige Vorstellung, überlegte der alte Mann.
    Er blinzelte, als ein warmer, feuchter Tropfen über sein Gesicht lief. Es begann erneut zu regnen.
    Als er die Augen schloss und tief einatmete,
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