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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors
Autoren: Gene Wolfe
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so mit ihnen vertraut) viel bösartiger, obwohl sie die menschliche Sprache so gut verstehen und manchmal sogar ein paar Brocken sprechen können; gleichfalls steckt in Männern und Frauen, deren Vorfahren seit dem Anbeginn der Menschheit in Städten und Dörfern gelebt haben, eine viel ausgeprägtere Wildheit. Vodalus, in dessen Adern das unverdünnte Blut von tausend Beglückten – Exarchen, Ethnarchen und Starosten – floß, war zu Gewalthandlungen fähig, die den Autochthonen, welche nackt unter ihren Mänteln die Straßen von Thrax beschriften, unvorstellbar erschienen wären.
    Wie die Wolfshunde (die ich nie zu Gesicht bekam und die zu bösartig waren, um von irgendeinem Nutzen zu sein) vereinten diese Eklektiker alles Grausame und Unbezähmbare von ihren gemischten Ahnen; als Freunde oder Gefährten waren sie mürrisch, treulos und zänkisch; als Feinde grimmig, listig und rachsüchtig. So hatte ich es wenigstens von meinen Untergebenen in den Vincula gehört, denn die Gefangenen dort setzten sich zur Hälfte aus Eklektikern zusammen.
    Immer wenn ich Männern begegnet bin, deren Sprache, Gewand und Brauchtum fremd sind, habe ich mir überlegt, wie die Frauen ihrer Rasse wären. Es besteht immer ein Zusammenhang, denn Mann und Weib sind das Ergebnis einer einzigen Kultur, wie auch die Blätter eines Baumes, die man sieht, und die Früchte, die man nicht sieht, weil sie vom Laub verborgen werden, aus einem einzigen Organismus hervorgehen. Der Betrachter indes, der Form und Geschmack der Frucht anhand einiger belaubter Zweige vorhersagen möchte, die er (wie in meinem Fall) nur aus der Ferne sieht, müßte viel von Blättern und Früchten verstehen, wollte er sich nicht lächerlich machen.
    Kriegerische Männer werden vielleicht von schmachtenden Frauen geboren oder mögen Schwestern haben, die vielleicht genauso stark, aber resoluter sind. So machte ich mir auch nun, da ich durch die Menge schritt, die hauptsächlich aus diesen Eklektikern und den Städtern bestand (welche mir nicht viel anders als die Bürger von Nessus vorkamen, außer daß sie nicht so feine Kleider und Manieren hatten), Gedanken über die dunkeläugigen, dunkelhäutigen Frauen; Frauen mit glänzend schwarzen Haaren, so dicht wie die Schweife der scheckigen Reittiere ihrer Brüder; Frauen, deren Gesichter ich mir kräftig, aber dennoch fein vorstellte; Frauen, die erbittertem Widerstand und rascher Kapitulation ergeben waren; Frauen, die zu gewinnen, aber nicht zu kaufen waren – falls es solche Frauen auf dieser Welt gäbe.
    Von ihren Armen begab ich mich in Gedanken zu den Orten, an denen sie zu finden wären, den einsamen Hütten, die sich an Gebirgsquellen schmiegten, den versteckten Zelten, die allein auf hohen Weiden standen. Bald war ich so berauscht von der Bergwelt wie damals, als Meister Palaemon mir die korrekte Lage von Thrax erklärt hatte, von der Vorstellung des Meeres. Wie glorios sie sind, diese unerschütterlichen Idole der Urth, die, in unvorstellbar früher Zeit mit unfaßbarem Werkzeug geformt, noch immer über den Rand der Welt die finsteren, mit Mitren, Tiaren und Diademen bekrönten, schneegeschmückten Häupter heben; Häupter, deren Augen groß wie Städte sind; Gestalten, deren Schultern in Wälder gehüllt sind.
    Mit dem unscheinbaren Burnus eines Städters verkleidet, bahnte ich mir mit den Ellbogen einen Weg durch das bunte Menschengewühl in den Straßen, die von üblen Ausdünstungen und Küchengerüchen durchdrungen waren, im Geiste jähe Felsen mit ihrem Geschmeide aus kristallklaren Wildbächen schauend.
    Thecla muß, glaube ich, zumindest in das Vorgebirge dieser Massive gebracht worden sein, gewiß um der Hitze eines besonders schwülen Sommers zu entgehen; denn viele der Szenen, die (fast wie von selbst) vor meinem geistigen Auge aufstiegen, waren auffällig kindlich. Ich sah Steingewächse, deren jungfräuliche Blüten ich so unmittelbar gewahrte, wie es ein Erwachsener nur kniend vermöchte; Schluchten, die nicht nur furchterregend, sondern schockierend wirkten, als wäre ihre bloße Existenz eine Beleidigung der Naturgesetze; Berge, die ob ihrer Höhe buchstäblich wie ohne Gipfel schienen, als fiele die ganze Welt unablässig aus irgendeinem unvorstellbaren Himmel, der diese Berge dennoch im Griff behielte.
    Schließlich gelangte ich zur Burg Acies, nachdem ich die Stadt fast der ganzen Länge nach durchwandert hatte. Ich gab mich den Wächtern an der Seitentür zu erkennen und durfte eintreten und
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