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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors
Autoren: Gene Wolfe
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schwarzen Banner noch sehen konnte.
    In Nessus wohnen die Reichen im nördlichen Teil, wo das Wasser des Gyolls reiner ist, und die Armen im südlichen, wo es verschmutzt ist. Hier in Thrax war dieser Brauch unnütz, denn der Acis floß so schnell, daß die Exkremente von denjenigen weiter flußaufwärts (die natürlich nur ein Tausendstel der Einwohner an den nördlichen Gyollufern ausmachten) den Strom kaum trüben konnten und das Wasser von oberhalb des Katarakts zudem über Aquädukte in die öffentlichen Brunnen und Häuser der Wohlhabenden geleitet wurde, so daß man vom Fluß unabhängig war, wenn man nicht – wie in Manufakturen und Wäschereien – auf große Mengen angewiesen war.
    In Thrax vollzog sich die Trennung also durch die Höhe der Lage. Die Reichsten wohnten in den flachen Hängen unmittelbar am Fluß in nächster Nähe der Läden und Ämter, wo sie ein kurzer Fußmarsch zu den Anlegestellen brachte, von denen aus sie auf von Sklaven geruderten Kaiks in der Stadt auf und ab fahren konnten. Die weniger Bemittelten lebten etwas höher, und die Häuser der Mittelklasse standen üblicherweise noch höher, bis sich zuletzt unterhalb der Befestigungsanlagen auf den Bergkämmen die Behausungen der Allerärmsten anschlössen, die oft nicht mehr als schilfgedeckte Lehmhütten waren, die man nur über lange Leitern erreichen konnte.
    Ich sollte diese elenden Verhältnisse noch kennenlernen, blieb aber zunächst im Geschäftsviertel neben dem Flußufer. In den engen Straßen dort herrschte ein solches Gedränge, daß ich schon glaubte, irgendein Fest sei im Gange oder der Krieg – der mir, solange ich in Nessus war, so fern vorgekommen, aber immer unmittelbarer zu spüren gewesen war, je weiter Dorcas und ich in den Norden vordrangen – sei nun so nahe gerückt, daß sich die Stadt mit seinen Flüchtlingen füllte.
    Nessus ist so groß, daß auf jeden lebenden Bewohner, wie ich mir hab’ sagen lassen, fünf Gebäude kommen. In Thrax ist dieses Verhältnis gewiß umgekehrt, und ich habe an diesem Tag zuweilen den Eindruck gehabt, jedes Dach müsse fünfzig beherbergen. Auch ist Nessus eine Weltstadt, in der man neben vielen Fremdländern sogar gelegentlich Cacogens, die mit Schiffen von anderen Welten gekommen sind, sieht und spürt, daß sie Fremde sind, fern von ihrer Heimat. Hier erlebte ich in den Straßen ein buntes Menschengemisch, aber die Leute stellten nur Angehörige verschiedener Bergvölker dar; auch wenn ich zum Beispiel einen Mann mit einem Hut aus Vogelgefieder sah, dessen Flügel ihm als Ohrenklappen dienten, oder einen Mann in einem zottigen Kaberu-Mantel oder einen Mann mit einem tätowierten Gesicht, hätte ich hinter der nächsten Ecke hundert anderen solcher Stammesvertreter begegnen können.
    Diese Leute waren Eklektiker, die Abkömmlinge der Siedler aus dem Süden, die sich mit den vierschrötigen, dunklen Autochthonen verpaart und gewisse Gebräuche von ihnen übernommen und diese wiederum mit den Sitten der noch nördlicheren Amphitryonen und zum Teil anderer, unbekannterer Völker, Händler und parochialer Rassen vermengt hatten.
    Viele dieser Eklektiker verwenden vornehmlich Messer, die gebogen sind – oder krumm, wie manchmal gesagt wird. Sie bestehen aus zwei ziemlich geraden Schenkeln und haben im unteren Teil ein Knie. Diese Form erleichtert es angeblich, das Herz zu durchbohren, wenn man unter dem Brustbein einsticht. Die Klinge ist durch eine Mittelrippe verstärkt und hat zwei Schneiden, die sehr scharf gehalten werden; ein Stichblatt fehlt, und der Griff ist für gewöhnlich ein knöcherner. (Ich habe diese Messer so ausführlich beschrieben, weil sie wie nichts anderes typisch für diese Gegend sind und weil Thrax von ihnen einen anderen seiner Beinamen ableitet: die Stadt der Krummen Messer. Auch gleicht der Aufbau der Stadt der Klinge eines solchen Messers, wobei das Knie im Engpaß dem Knie in der Klinge ähnelt, der Fluß Acis der Mittelrippe, Burg Acies der Spitze und der Capulus dem Ansatzstück, wo der Stahl im Heft verschwindet.)
    Einer der Wärter im Bärenturm sagte mir einmal, es gebe kein so gefährliches oder wildes und unbezähmbares Tier wie die Hybride, die entsteht, wenn ein Bluthund eine Wölfin begattet. Wir sind daran gewöhnt, uns die Tiere des Waldes und der Berge als wild vorzustellen und die Menschen, die sozusagen diesem Boden entspringen, für barbarisch zu halten. Aber in Wahrheit sind bestimmte Haustiere (wie wir wüßten, wären wir nicht
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