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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna
Autoren: Anne Bishop
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Kapitel 1
Gegenwart
    Im blassen grauen Licht, jenem Vorboten der Morgendämmerung, folgte Glorianna dem Pfad durch den Wald, bis sie das zweistöckige Cottage erreichte. Die Fensterläden waren offenkundig vor nicht allzu langer Zeit gestrichen worden. Tatsächlich sah alles hier so aus, als hätte man es für eine gründliche Reinigung auf den Kopf gestellt. Selbst das umliegende Land wies Spuren der neuen Ordnung auf.
    Gut, dass ihr Cousin Sebastian und Lynnea, die Sehnsucht seines Herzens, am Ende des Sommers geheiratet hatten. Armer Sebastian! Wenn Lynnea sowohl die Gärten erhalten hatte, die sie sich wünschte, und auch das Cottage renoviert worden war, stünde zu bezweifeln, ob Sebastian noch genügend Energie übrig hatte, um seinen ehelichen Pflichten nachzukommen, wenn er abends ins Bett fiel. Und da Sebastian ein Inkubus war und Atmen für die einzige Tätigkeit hielt, die notwendiger war als Sex, verriet das so einiges über Lynneas Tatendrang.
    Der Gedanke erheiterte Glorianna, und sie schmunzelte, als sie ihren Cousin entdeckte. Er stand auf der anderen Seite des Weges, der am Cottage vorbeiführte, dort, wo eine Lücke zwischen den Bäumen den Blick auf den Himmel und den hinter den Klippen liegenden See freigab.
    Aus dem Schmunzeln wurde ein warmes Lächeln, in dem all die Liebe lag, die sie für ihn empfand. Ganz leicht drehte er den Kopf zur Seite, das einzige Zeichen, dass er sie bemerkt hatte, ließ aber den Himmel nicht aus den Augen, während die Sonne aufging.
    »Werde ich einmal sein wie die anderen?«, fragte Sebastian leise, als sie sich kameradschaftlich bei ihm einhakte. »Werde ich anfangen, den Sonnenaufgang als etwas Alltägliches zu betrachten und das Wunder, das in ihm steckt, nicht mehr wahrnehmen? Werde ich den Punkt erreichen, an dem ich das erste Licht des Tages erblicke und nichts darin sehe als eine Möglichkeit, die Tageszeit zu bestimmen?«
    »Du musstest dir deine Sonnenaufgänge verdienen«, erwiderte sie und hielt blinzelnd die Tränen zurück, die plötzlich in ihren Augen brannten. »Nein, Sebastian, ich glaube nicht, dass du die Morgenröte jemals als selbstverständlich ansehen wirst.«
    Sie hätte ihn verlieren können. Als sie sich in die Stadt der Zauberer begeben hatte, um die Wächter der Dunkelheit einzuschließen, die bösartigsten Verbündeten des Weltenfressers, hatte sie sich auf Lynneas Liebe und Mut verlassen, um Sebastian zu retten, als sie das Urteil des Herzens sprach. Hätte Lynnea nachgegeben, so wäre Sebastian in eine dunkle, verdorbene Landschaft gezogen worden, in ein verlorenes Leben, von dem die Wächter ihn glauben ließen, es sei alles, was er verdiente.
    Doch Lynnea hatte nicht nachgegeben, und Sebastian war seinem Herzen gefolgt. Und das hatte sie zum Cottage geführt. In den Jahren, die er alleine hier gelebt hatte, hatte das Häuschen innerhalb der Grenzen einer dunklen Landschaft existiert, die man den Sündenpfuhl nannte. Jetzt stand es in Aurora, einer Landschaft des Tageslichts, dem Heimatdorf ihrer Mutter Nadia.
    Sebastian seufzte zufrieden, dann sah er sie an. »Willst du eine Tasse Kaffee?«
    »Klar« Doch sie machte keine Anstalten, zum Cottage zurückzugehen. Wehmut begleitete das Licht des neuen Tages, erfüllte ihr Herz mit schmerzvoller Sehnsucht. Sebastians und Lynneas Hochzeit - gefolgt von der Heirat ihrer Mutter mit Jeb, einem Holzarbeiter, der Nadias  Nachbar und Liebhaber gewesen war - war eine Feier voller Freude gewesen. Doch ebenso war es eine schmerzvolle Erinnerung an die Tatsache, dass sie nie mit einem Mann zusammen gewesen war, der sie so geliebt hatte. Sexpartner, ja, aber nie jemand, den sie aufrichtig einen Geliebten hätte nennen können.
    Zumindest keinen echten Geliebten. Im Laufe des letzten Monats hatte es Momente gegeben, kurz vor dem Einschlafen, in denen sie hätte schwören können, die Wärme eines Körpers, die tröstende Berührung männlicher Arme zu spüren.
    Sollte sie Sebastian von diesen Traumfetzen erzählen? Ein Inkubus konnte das Gefühl der Nähe eines Liebhabers hervorrufen, indem er durch das Zwielicht des Halbschlafes Verbindung mit einer Frau aufnahm. Und die reinblütigen Inkuben, die den dunklen Landschaften entflohen waren, die man vor Jahrhunderten mit dem Weltenfresser eingeschlossen hatte, konnten den Tod bringen. Doch sie glaubte nicht, dass irgendein Inkubus, reinblütig oder nicht, für einen Traum verweilen würde, der zwar von der Wärme der Romantik, aber nicht von sexuellem
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