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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors
Autoren: Gene Wolfe
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Gebäude halten – ist in Wirklichkeit der kleinste und unwichtigste Teil. Zu der Zeit, in der ich Liktor war, beherbergte er lediglich unsere Schreibstuben, die Unterkünfte der Wärter und meine eigene Wohnung.
    Die Gefangenen waren in einem schrägen, in den Fels getriebenen Stollen untergebracht. Es waren weder Einzelzellen wie in unserer Oubliette daheim noch ein Gemeinschaftsraum eingerichtet, wie ich ihn im Haus Absolut erlebt hatte, als ich mich selbst in Haft befand. Vielmehr waren die Gefangenen entlang der Stollenwände an kräftigen eisernen Halsbändern angekettet, und zwar so, daß in der Mitte genügend Freiraum blieb, damit zwei Wärter Seite an Seite hindurchgehen könnten, ohne befürchten zu müssen, es würden ihnen die Schlüssel entrissen.
    Dieser Stollen war an die fünfhundert Schritt lang und bot für über tausend Gefangene Platz. Er wurde durch eine in den Felsgrat gelassene Zisterne mit Wasser versorgt, und die sanitären Abfälle wurden beseitigt, indem man den Stollen ausspülte, sobald die Zisterne überzulaufen drohte. Ein in das untere Stollenende gebohrter Abfluß führte das Abwasser über einen Kanal am Fuße des Hangs durch den Capulus unterhalb der Stadt in den Acis.
    Der aus dem Fels ragende viereckige Turm und der eigentliche Stollen bildeten einst wohl die gesamten Vincula. Nach und nach wurde die Anlage durch ein Gewirr aus langen Gängen und parallelen Stollen immer verzweigter, denn bei früheren Befreiungsversuchen wurden von dem einen oder anderen Privathaus im Hang Tunnel in den Fels getrieben und wiederum Gegenminen angelegt, um solche Bemühungen zu vereiteln – wovon allesamt nun als zusätzliche Unterbringungsmöglichkeit in Gebrauch waren.
    Diese ungeplanten oder schlecht geplanten Erweiterungen machten meine Aufgabe ungleich schwieriger, und eine meiner ersten Amtshandlungen war die Einleitung der Verschließung unerwünschter und überflüssiger Korridore durch ein Gemisch aus Feldsteinen, Sand, Wasser, gebranntem Kalk und Kies und der Beginn des Ausbaus und Zusammenschlusses offen gebliebener Gänge, um schließlich eine vernünftige Struktur zu erhalten. Diese Arbeit, so notwendig sie auch war, ließ sich nur schleppend voranbringen, denn es konnten nur ein paar hundert Gefangene gleichzeitig dafür abgekettet werden, und ihre Verfassung war meist sehr dürftig.
    In den ersten Wochen nach unserer Ankunft in der Stadt ließ mir mein Amt für nichts anderes Zeit. Dorcas erkundete sie für uns beide und war ausdrücklich damit betraut, für mich nach den Pelerinen zu forschen. Auf der langen Reise von Nessus war mir das Wissen, im Besitz der Klaue des Schlichters zu sein, eine schwere Bürde gewesen. Nun, da ich nicht mehr auf Wanderschaft war und keine Möglichkeit hatte, die Pelerinen unterwegs ausfindig zu machen, und mich nicht einmal damit trösten konnte, in eine Richtung zu ziehen, die mich zuletzt vielleicht zu ihnen führte, wurde es zu einer schier unerträglichen Last. Unterwegs hatte ich unter den Sternen geschlafen und das Juwel in meinem Stiefelschaft verwahrt oder in der Kappe meines Schuhs verborgen, falls wir – selten genug – unter einem Dach einkehren konnten. Nun stellte ich fest, daß ich überhaupt nicht schlafen konnte, wenn ich es nicht bei mir hatte, um mich beim nächtlichen Erwachen vergewissern zu können, daß ich noch in seinem Besitz war. Dorcas nähte mir ein rehledernes Säckchen dafür, das ich Tag und Nacht um meinen Hals trug. Ein dutzend Mal träumte ich in diesen ersten Wochen, das Juwel leuchten und wie seine brennende Kathedrale in der Luft schweben zu sehen, und bemerkte, als ich erwachte, daß es durch das dünne Leder schimmerte, so hell strahlte es. Ein- oder zweimal erwachte ich nachts und stellte fest, daß ich auf dem Rücken lag und das Säckchen auf meiner Brust offenbar so schwer geworden war (obschon ich es mühelos mit der Hand heben konnte), daß es mich erdrückte.
    Dorcas tat alles in ihrer Macht Stehende, um mich zu trösten und mir zu helfen; dennoch entging mir nicht, daß sie sich des jähen Wandels in unserer Beziehung bewußt war und noch mehr als ich darunter litt. Solche Veränderungen sind meiner Erfahrung nach immer unangenehm – und sei’s nur deshalb, weil sie weitere Veränderungen nahelegen. Als wir unterwegs waren (und wir waren mehr oder minder schnell unterwegs seit jenem Moment im Garten des Endlosen Schlafes, als ich, halb ertrunken, von ihr auf den schwabbeligen Riedsteg gezerrt
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