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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors
Autoren: Gene Wolfe
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herausgeflossen und auf der Wange angetrocknet. »Sehr, sehr krank.«
    »Ich sehe«, antwortete ich.
    »O nein, Sieur. Das könnt Ihr nicht, nicht von hier aus. Aber wenn Ihr wollt, könnt Ihr durch die Tür reinschauen – das wird ihr nichts ausmachen.«
    In diesem Augenblick rief ein Mann mit dem abgenutzten Lederschurz eines Maurers: »Was ist denn, Jader? Was will er?« Er stapfte über den Weg in unsere Richtung herauf.
    Wie man sich hätte denken können, verstummte der Knabe bei dieser Frage ängstlich. »Ich wollte nur den besten Weg in die Stadt hinunter wissen«, erklärte ich.
    Der Maurer gab keine Antwort, sondern blieb etwa vier Doppelschritt vor mir stehen und verschränkte die Arme, die härter wirkten als die Steine, die sie brachen. Er schien aufgebracht und mißtrauisch, obwohl ich’s mir nicht erklären konnte. Vielleicht hatte meine Sprache verraten, daß ich aus dem Süden stammte; vielleicht lag es nur an meiner Kleidung, die zwar keineswegs vornehm oder außergewöhnlich war, aber doch zeigte, daß ich zu einer höheren Klasse als der seinen gehörte.
    »Darf man hier nicht gehen?« fragte ich. »Ist das privat?«
    Er gab keine Antwort. Was immer er über mich dachte, es war offensichtlich, daß seiner Ansicht nach zwischen uns keine Verständigung stattfinden konnte. Wenn ich zu ihm sprach, so konnte das nur so geschehen, wie ein Mensch zu Tieren spricht, und nicht einmal zu intelligenten Tieren, sondern nur so wie ein Treiber Hornvieh anschreit. Und wenn ich sprach, so war das in seiner Sicht nur so, wie wenn ein Tier zu einem Mensch spricht – in Lauten aus der Kehle.
    Mir ist aufgefallen, daß in Büchern nie ein solches Patt auftritt; die Verfasser sind so darauf erpicht, ihre Geschichte voranzubringen (und seien sie auch noch so hölzern, gleichsam wie Marktkarren mit ächzenden Rädern, die nie still sind, auch wenn sie nur in staubige Dörfer fahren, wo aller ländliche Reiz tot ist und die Wonnen der Stadt nie erreicht werden), daß für solche Verständigungsschwierigkeiten, für eine solche Nichtbereitschaft zum Gedankenaustausch kein Platz ist. Der Meuchelmörder, der seinem Opfer das Messer an die Kehle drückt, ist darauf versessen, die ganze Angelegenheit abzuhandeln – so wortreich, wie es dem Opfer oder Verfasser gefällt. Das leidenschaftliche Paar in der Liebesumarmung ist schließlich einmütig gewillt, das Erdolchen aufzuschieben – wenn nicht mehr.
    Im Leben ist es anders. Ich starrte auf den Maurer und er auf mich. Ich hätte ihn wohl töten können, wäre mir meiner Sache aber nicht sicher gewesen, denn er machte einen ungewöhnlich starken Eindruck, und ich wußte nicht, ob er eine verborgene Waffe trüge oder ob Freunde in den umliegenden Elendsbehausungen ihm zu Hilfe kämen. Ich glaubte, er würde in jedem Moment auf den Weg zwischen uns speien, und hätte er das getan, hätte ich ihm meinen Burnus über den Kopf geschwungen und ihn zu Boden gepreßt.
    Aber er tat es nicht, und nachdem wir uns eine Weile angestarrt hatten, sagte der Knabe, der wohl gar nicht verstand, was vor sich ging, wiederum: »Ihr könnt durch die Tür reinschauen, Sieur. Das wird meiner Schwester nichts ausmachen.« Er wagte es sogar, in seinem Eifer, mir zu zeigen, daß er nicht gelogen hatte, an meinem Ärmel zu zupfen, wohl ohne sich bewußt zu sein, daß sein Aussehen ihm das Recht zu jeder Bettelei gab.
    »Ich glaub’s dir«, sagte ich. Aber sogleich erkannte ich, daß ich ihn beleidigte, wenn ich sagte, ich glaubte ihm, denn damit gab ich ihm zu verstehen, ich hätte nicht so viel Vertrauen, es einfach zu probieren. Also bückte ich mich und schaute, obwohl ich zunächst wenig sah, denn ich blickte ja vom hellen Sonnenlicht in das düstere Innere der Hütte.
    Der Sonnenschein fiel direkt von hinten auf mich. Ich spürte, wie er drückend auf meinem Nacken lag, und wurde mir bewußt, daß der Maurer, dem ich nun den Rücken zukehrte, mich ungestraft anfallen könnte.
    Die Hütte war zwar klein, aber der enge Raum war nicht mit allerlei Zeug vollgestopft. An der Wand gegenüber der Tür war ein Strohlager aufgehäuft, worauf die Schwester lag. Sie befand sich in jenem Krankheitsstadium, wo man mit dem Erkrankten kein Mitgefühl mehr haben kann, weil er zum Bild des Entsetzens zerfallen ist. Ihr Gesicht war ein Totenkopf, von dünner, durchscheinender Haut wie der einer Trommel überzogen. Ihre Lippen vermochten nicht einmal mehr im Schlaf ihre Zähne zu bedecken, und durch das
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