Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
Anbetracht des Briefes, den du mir vorgelegt, und in Anbetracht dessen, daß du für dieses Amt erwählt worden bist, und dessen, was du seit deiner Ankunft geleistet hast. Wie dem auch sei, hier fiele keinem ein Unterschied auf, würdest du dich vornehmer geben. Wie viele Meister gibt es?«
    »Mir schon, Archon. Nur zwei, es sei denn, jemand wäre seit meiner Abreise erhoben worden.«
    »Ich schreibe ihnen und bitte sie, dich in absentia zu erheben.«
    »Ich danke Euch, Archon.«
    »Nichts zu danken«, erwiderte er, wandte sich um und blickte aus dem Fenster, als wäre ihm das Ganze peinlich. »Du wirst etwa in einem Monat davon hören.«
    »Sie werden mich nicht erheben, Archon. Aber es wird Meister Palaemon eine große Freude sein zu hören, daß ich bei Euch hochangesehen bin.«
    Er kehrte sich wieder mir zu. »Wir brauchen doch nicht so förmlich zu sein. Ich heiß’ Abdiesus, und es spricht nichts dagegen, daß du mich so nennst, wenn wir unter uns sind. Du heißt Severian, stimmt’s?«
    Ich nickte.
    Er wandte sich wieder ab. »Dieses Fenster ist sehr tief. Hab’s mir angesehen, bevor du gekommen bist. Die Wand reicht kaum bis zum Knie. Man könnte leicht hinausfallen, fürchte ich.«
    »Aber nur wenn man so groß ist wie du, Abdiesus.«
    »Wurden früher nicht gelegentlich Leute hingerichtet, indem man sie aus einem hohen Fenster oder von einer Klippe stürzte?«
    »Ja, beide Methoden sind angewendet worden.«
    »Aber nicht von dir, vermute ich.« Wieder drehte er sich mir zu.
    »Soweit ich weiß, macht man’s seit Menschengedenken nicht mehr so, Abdiesus. Was ich an Hinrichtungen vollzogen habe, ist lediglich mit dem Block oder Stuhl gewesen.«
    »Aber du hättest nichts gegen andere Methoden einzuwenden? Falls du angewiesen würdest, sie zu gebrauchen?«
    »Ich bin hier, um die Sprüche des Archons zu vollstrecken.«
    »Es gibt Zeiten, Severian, wo öffentliche Hinrichtungen dem Allgemeinwohl zuträglich sind. Es gibt andere, wo sie schaden und das Volk nur zum Aufruhr anstiften würden.«
    »Das ist klar, Abdiesus«, pflichtete ich ihm bei. Wie ich zuweilen in den Augen eines Knaben die Sorgen des Mannseins, zu dem er reifen wird, bemerkt hatte, sah ich die künftige Schuld, die bereits (wohl ohne daß er es merkte) in sein Gesicht getreten war.
    »Ein paar Gäste sind für heut’ abend in den Palast geladen. Ich hoffe, daß du unter ihnen sein wirst, Severian.«
    Ich verbeugte mich. »Von den verschiedenen Ämtern wird seit jeher, wie es altes Brauchtum will, eines – nämlich das meine – von der Gesellschaft anderer ausgeschlossen.«
    »Und das hältst du für ungerecht, was ganz natürlich ist. Heut’ abend wollen wir, wenn das deine Überzeugung ist, eine kleine Wiedergutmachung leisten.«
    »Wir von der Zunft haben nie über Ungerechtigkeit geklagt. Vielmehr haben wir uns unserer einzigartigen Isolation gerühmt. Heut’ abend jedoch werden manche sich vielleicht veranlaßt sehen, Protest einzulegen.«
    Ein Lächeln huschte über seine Miene. »Das soll mich nicht bekümmern. Hier, das wird dir Zutritt verschaffen!« Er streckte die Hand aus, worin er so behutsam, als fürchtete er, sie könnte seinen Fingern entgleiten, eine jener Scheiben aus festem Papier, nicht größer als ein Chrysos und mit einer schmuckreichen Inschrift aus Blattgold, hielt, von denen ich oft Thecla hatte sprechen hören (bei der Berührung damit regte sie sich in meinem Denken), die ich aber noch nie zu Gesicht bekommen hatte.
    »Danke, Archon. Heut’ abend also? Ich werd’ versuchen, mir passende Kleidung zu besorgen.«
    »Komm, wie du bist! Es ist ein Maskenball – deine Gildentracht ist dein Kostüm.« Er stand auf und reckte seine Glieder mit dem Gehabe eines Mannes, so dachte ich, der sich dem Ende einer langwierigen, unliebsamen Arbeit nähert. »Vorhin sprachen wir von weniger mühsamen Möglichkeiten, wie sich dein Werk verrichten ließe. Es wäre gut, wenn du alles mitbrächtest, was du heut’ abend an Gerät dafür brauchtest.«
    Ich hatte verstanden. Ich brauchte nur meine Hände, was ich ihm auch sagte; daraufhin lud ich ihn in dem Gefühl, meine Pflicht als Gastgeber bereits arg vernachlässigt zu haben, zu einer Erfrischung ein, sofern er sich mit dem, was ich anzubieten hätte, begnügen würde.
    »Nein«, versetzte er. »Wenn du wüßtest, wieviel ich aus Höflichkeitsgründen essen und trinken muß, wüßtest du, wie sehr ich die Gesellschaft von jemand genieße, dessen freundliches Angebot ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher