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Die Einsamkeit des Barista

Die Einsamkeit des Barista

Titel: Die Einsamkeit des Barista
Autoren: Marco Malvaldi
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Null
    Der Billardtisch ist sehr schön.
    Seine Füße sind stark, sie stehen fest auf der Erde und verleihen ihm etwas Unverrückbares, als sei er immer schon da gewesen, von Anbeginn der Zeiten an oder sogar noch früher. An den Wänden befinden sich zwei Halter mit jeweils zehn absolut gleich aussehenden Billardstöcken, was bedeutet, dass das Billard neu ist und noch kein Ersatz gekauft werden musste für kaputtgegangene oder gestohlene Stöcke. Über dem Billardtisch sind drei Hängelampen zu sehen, grün aus Tradition, auf deren Lampenschirm wie eine magische Zauberformel steht: Mari Billards.
    Doch all das bemerkt man nur, wenn diese Lampen aus sind.
    Werden sie hingegen eingeschaltet, ändert sich alles. Wenn jemand sie einschaltet, so hieß es, materialisiert sich plötzlich ein Rechteck aus hypnotisierendem Grün, welches das Zimmer mit einem ganz eigenen Licht erhellt. Dann scheint der Billardtisch nicht mehr schwer auf dem Boden zu lasten, sondern sich förmlich emporzuheben.
    Auf dem grünen Rechteck kreisen glänzende Kugeln, die sich erhaben bewegen. Sie rollen perfekt gerade, klacken mit beruhigendem Ton aneinander und stoßen sich von den Banden ab, als gehorchten sie, losgelöst vom lärmenden und vibrierenden Rest der Welt, idealen, geometrischen und perfekten Gesetzen.
    Der Billardtisch kann nur über würdige, weise Mittelsmänner mit der Außenwelt kommunizieren, Spieler genannt, die sich gemessenen Schrittes in wohl einstudierten Formationen um das Rechteck bewegen. Jene Kundigen teilen ihre Entscheidungen dem Billard über Zepter mit, die sie auf rätselhafte Weise bewegen, indem sie das eine Ende kraftvoll schwenken, während sie das andere leicht wie eine Feder führen. Kraft und Präzision aufs Engste vereint. Dem zufälligen Beobachter, der angesichts der unnatürlichen Perfektion des Spiels fasziniert stehen bleibt, kann es vorkommen, als werde er Zeuge von etwas Übernatürlichem.
    So, könnte er denken, muss Platon sich die unwandelbaren Formen vorgestellt haben, von denen wir nur die Schatten an den Höhlenwänden sehen.
    So könnte, vielleicht, die Welt der Ideen aussehen.
    Es scheint, als hätte hier, in der Mitte des Tisches, die Realität keine Macht und müsse der Perfektion Platz machen.
    Ein Jammer nur, dass einer der Weisen, den man Ampelio nennt, häufig anfängt, den Namen der Madonna lästerlich im Munde zu führen; dann bekommt die ganze Atmosphäre einen Knacks, die Realität befreit sich mit einem beherzten Tritt vors Schienbein von der Vollkommenheit, und aus der fernen Poesie Attikas gerissen, findet man sich plötzlich in Pineta wieder.
    »Geh über die Ecke.«
    »Nein, immer mit der Ruhe, ich seh sie doch.«
    »Ich hab gesagt, geh über die Ecke.«
    »Und ich sage dir, dass ich sie sehe.«
    »Aber was willst du denn sehen, aber was …«
    »Wenn du vielleicht mal ganz kurz still sein würdest, ich versuche, einen Stoß zu machen. Danke.«
    »Ich würde über die Ecke gehen.«
    »Ampelio, das letzte Mal, dass ich auf dich gehört habe, da hatten wir noch den König. Und dann war’s auch noch ein Fehler. Also lass mich stoßen.«
    »Mach nur, mach nur«, brummelt Ampelio. »Aber dann richte dich nicht noch mal auf, sondern bleib so vornübergebeugt. Wenn du dich schon zum Affen machen musst, dann wenigstens schnell.«
    Aldo beugt sich vor, visiert die Kugel an und lässt den Stock sanft vor und zurück gleiten. Immer noch sanft versetzt er der weißen Kugel einen Stoß, die direkt auf die gelbe Kugel zurollt. Noch viel sanfter streift die weiße Kugel, bevor sie auf die gelbe trifft, einen weißen Kegel, der ins Schwanken gerät und umfällt. Alles andere als einfühlsam teilt Ampelio Aldo mit, dass er von Tuten und Blasen keine Ahnung habe. Aldo breitet die Arme aus, Rimediotti kichert schadenfroh, und Pilade notiert das Ergebnis.
    »Aldo verschenkt zwei. Wir einundfünfzig, die neununddreißig. Das Spiel geht an uns. Für mich einen Averna.«
    »Für mich einen corretto al sassolino «, sagt Rimediotti, während er den Stock in den Halter zurückstellt.
    »Ich nehme eine Limonade. Und du, Ampelio, was willst du?«
    »Einen neuen Mitspieler, das will ich.«
    »Und nichts zu trinken?«
    »Nein, nichts. Weißt du was? Ich hätte Lust auf ein Eis …«
    Gesagt, getan. Aldo nimmt die kleine grüne Schürze ab, die er sich umgebunden hat, um seine Hosen nicht zu beschmutzen, wenn er sich gegen den Tisch lehnt, und wiederholt die Bestellungen automatisch mit leiser Stimme,
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