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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes
Autoren: Axel S. Meyer
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Sie waren nur noch etwa hundert Schritt entfernt und kamen schnell näher. Über den fliegenden Hufen wehten die Mäntel wie blutgetränkte Banner.
    Aus der Scheune drangen noch immer die Geräusche der Dreschflegel, mit denen Finn, der Knecht, und die Sklaven das Getreide bearbeiteten, das sie in den vergangenen Tagen vom Feld geholt hatten. Die Ernte war in diesem Jahr mager ausgefallen, und der Roggen würde kaum ausreichen, um sie alle über den Winter zu bringen.
    Wenn wir diesen Winter erleben, dachte Erling.
    In die klopfenden Dreschgeräusche mischten sich die Geräusche der Pferdehufe.
    Erling rief nach Finn. Einmal, zweimal, dreimal musste er laut rufen, bis die Männer in der Scheune ihn endlich hörten und ihre Arbeit unterbrachen. Finn kam als Erster heraus, dann die beiden Sklaven; es waren zwei junge, tüchtige Männer, die Erling vor einigen Jahren gekauft hatte. Damals hatte er sich noch Sklaven leisten können. Doch mittlerweile drohte ihn die Last der Abgaben, die er an den neuen Markgrafen entrichten musste, zu ersticken.
    Erling winkte seine Männer zu sich. Als sie bei ihm waren, gingen sie zu viert den Reitern entgegen, die das Tor inzwischen erreicht hatten und auf dem Hof ihre schwitzenden Pferde zügelten.
    Der Anführer, ein langer, hagerer Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren mit dunkelblondem Haar und kurzem Bart, trieb sein Pferd auf Erling zu.
    Erling war dem Mann niemals zuvor begegnet, aber er wusste sofort, dass es der Markgraf war.
    Der Graf musterte Erling und dessen Männer scharf. Mit den heruntergezogenen Augenbrauen wirkte seine Miene bedrohlich, und als er die Lippen zu einem kalten Lächeln verzog, gefror Erling das Blut in den Adern.
    Die anderen Reiter schlossen auf. Bis auf einen waren alle mit Schwertern und Lanzen bewaffnet. Als Erling in dem unbewaffneten Mann, der mit einer schwarzen Kutte bekleidet war, den Bischof erkannte, schwanden seine allerletzten Hoffnungen. Seine Familie und er würden nicht unbeschadet aus dieser Angelegenheit kommen.
    Der Mann, der sein Pferd neben das des Grafen führte, war Bischof Poppo. Er war ein kräftiger Mann von etwa dreißig Jahren, mit breiten Schultern, fliehender Stirn, dunklem Haar und einem Gesichtsausdruck wie ein grauer Wintertag, der niemals hell werden wollte. Poppo war in der ganzen Mark bekannt und gefürchtet für seine Methoden, mit denen er von den Menschen das erfuhr, was er wissen wollte. Ob es der Wahrheit entsprach oder nicht.
    Der Graf beugte sich auf seinem Pferd vor. Er lächelte noch immer, als er auf die Dreschflegel zeigte.
    «Haben wir die braven Bauern bei der Arbeit unterbrochen?», fragte er.
    «Ja, Herr», erwiderte Erling, wobei er sich bemühte, das Beben in seiner Stimme zu unterdrücken.
    «Ist dein Name Erling Heimingsson?», wollte der Graf wissen.
    Erling nickte. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.
    Der Graf legte ihm seine rechte Hand mit leichtem Druck auf die Schulter. Die knochigen Finger fühlten sich an wie die Klauen eines Raubvogels.
    «Es tut mir leid, dass wir dich von der Arbeit abhalten», sagte der Graf und zog seine Hand wieder zurück. «Aber es gibt da eine Sache, die duldet leider keinen Aufschub. Das wirst du bestimmt verstehen.»
    Erling rang sich ein vages Lächeln ab. «Ich bin mir nicht sicher … aber ich glaube, ich weiß nicht, was Ihr meint …»
    «Oh, natürlich! Wie unhöflich von mir. Natürlich sollte ich mich erst einmal vorstellen. Ich kann kaum voraussetzen, dass du mich kennst, Bauer. Oder?»
    Das Grinsen des Grafen wurde breiter. Er hatte große weiße Zähne.
    «Ich … ja, natürlich …», stammelte Erling, «natürlich weiß ich, wer Ihr seid.»
    «Nun?»
    «Ihr seid der Markgraf.»
    «Kennst du auch meinen Namen?»
    «Ja … Ihr seid Thankmar von … von …»
    «Thankmar von der Mersburg», half er. «Aber im Augenblick bin ich wohl eher Thankmar von der lausigen Mark.»
    Er legte den Kopf in den Nacken und lachte ohne jede Freude. Seine Soldaten stimmten ein.
    Dann drehte er sich zum Bischof um. «Seht Ihr, Herr Poppo. Der Erling Heimingsson ist ein kluger Mann, ein sehr kluger Mann. Hab ich Euch das nicht gesagt?»
    Der Bischof verzog keine Miene. Sein Blick war fest auf Erling gerichtet, während er zwischen den Fingern seiner rechten Hand ein silbernes Kruzifix drehte, das im Licht der Abendsonne rötlich schimmerte.
    «Überlasst mir die Schlangenbrut. Je schneller wir damit fertig sind, desto besser …»
    «Nein, mein lieber Herr
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