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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes
Autoren: Axel S. Meyer
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Ottern und Mardern geladen. Über den inneren Seeweg fuhr das Schiff im Windschatten unzähliger Inseln und Schären entlang an Gegenden, die Raumsdal, Sunnmoer, Sogn oder Rogaland genannt wurden. An der Südspitze von Agdir, bei der Insel Lindandisnes, drehte es von den zerklüfteten Küsten ab und steuerte durch den Skagerrak, die Verbindung zwischen den Meeren, hin zu den Küsten des dänischen Reichs.
    Seither zog das Land an Steuerbord vorbei, bis die Knörr endlich die Mündung eines Fjords erreichte, der sich viele Meilen tief in die jütländische Halbinsel erstreckte und an dessen Ende eine große Hafenstadt lag.
    Den Fjord nannte man Slien, die Stadt Haithabu.
    Durch den Regenschleier sah der Krieger die schmale, von Marschland gesäumte Fjordeinfahrt, die kaum fünfzig Schritt breit war. Zur Orientierung für die Seefahrer war der Durchlass weithin sichtbar durch hohe Pfosten markiert worden.
    Bald, dachte der Krieger, bald sind wir da …
    Er horchte auf, als der Rabe einen Laut von sich gab.
    Ein Mann trat zu ihnen in den Bug. Zum Schutz vor dem Regen hatte er sich in einen dicken Mantel gehüllt. Sein Name war Ögir, er war der zweite Steuermann. Ögir warf dem Krieger einen unsicheren Blick zu. Vielleicht hatte er sich überwunden, auf den Krieger zuzugehen, weil ihn das nahende Ende der Reise übermütig werden ließ. Vielleicht lag es auch am Wein, von dem er sich bereits am helllichten Tag eine ordentliche Ration genehmigt hatte.
    Ögir räusperte sich übertrieben laut.
    «Manchmal ist hier kein Durchkommen», sagte er dann und zeigte zur Mündung. «Wenn der Sturm längere Zeit von Osten weht, versandet die Einfahrt, weißt du. Dann heißt es: alle Mann ins Wasser und den Kahn drüberziehen.»
    Der Krieger bemerkte die dunkelgelben Zahnstümpfe in Ögirs Mund, als dieser ihn auffordernd anlachte. Dann erstarb das Lachen.
    «Du redest nicht viel, Normanne», meinte Ögir. «Hast ja eigentlich auch recht. Schwatzen ist Sache der Weiber. Aber man redet über dich. Willst du wissen, was man so sagt?»
    Der Krieger wandte sich ab.
    «Ich erzähle es dir trotzdem», fuhr Ögir fort. «Weißt du, die Leute sind der Meinung, dass du gefährlich bist. Sie haben Angst vor dir. Es wurden sogar jede Nacht zwei Wachposten abgestellt, die aufpassen sollten, dass du niemanden ausraubst. Verdenken kann man es ihnen irgendwie nicht. Schau dich an, Normanne. Du trägst diese dunklen Kleider und hast immer diesen Raben bei dir, so wie ein normaler Mann sein Weib. Hast du keines? Ich meine: ein Weib. Ach, lassen wir das. Ich will dir nicht zu nah treten. Aber eines wollte ich dir doch noch verraten. Ich glaube es ja nicht, aber einige hier sind wirklich davon überzeugt, dass du ein Wiedergänger bist. Weißt schon, so einer, der von den Toten kommt …»
    Ögir schaute den anderen mit einem Blick an, als wolle er dessen Reaktion abschätzen. Doch es kam keine. Der Krieger starrte aufs Land.
    Ögir holte tief Luft.
    «Es macht wirklich keinen Spaß, sich mit dir zu unterhalten», stellte er fest. «Seit Tagen sind wir auf diesem Schiff. Da kommt man sich doch näher. Man redet, man isst und trinkt zusammen. Aber du stehst nur hier am Steven mit dieser … dieser Leichenmiene. Sag mal, trauerst du vielleicht um irgendwen?»
    Der Krieger drehte sich abrupt zu Ögir um. Die Worte des Steuermanns hallten in seinen Ohren nach. Warum wurden diese Fragen gestellt? Warum ließ man ihn nicht in Ruhe?
    «Ha!», bemerkte Ögir. «Liege ich richtig? Du trauerst, nicht wahr? Um wen denn?»
    Mit einem triumphierenden Grinsen schob er die rechte Hand unter seinen Mantel.
    Als der Krieger das sah, griff er blitzschnell nach Ögirs Hals und drückte fest zu. Ögirs Augen weiteten sich vor Angst.
    «Nein, bitte … nicht», flehte er röchelnd.
    Der Krieger packte Ögirs Hand und zog sie aus dem Mantel. Aber Ögir hatte keine Waffe. Es war nur ein mit Wein gefüllter Trinkschlauch. Der Krieger ließ ihn wieder los.
    «Bist du … wahnsinnig?», stieß Ögir keuchend aus. «Du hättest mich fast umgebracht.»
    Er setzte den Wein an und nahm einen großen Schluck. Seine Hand zitterte.
    In dem Moment durchfuhr ein Beben das Schiff, als der erste Steuermann das Ruder durchzog, um die Knörr zum Fjord zu manövrieren. Das Schiff stellte sich in die Wellen. Die Planken knirschten wie die ungefetteten Räder eines Ochsenkarrens. An Bord wurden Kommandos gerufen. Männer eilten an den Mast und begannen das flatternde Segel
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