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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes
Autoren: Axel S. Meyer
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errichtet hatte. Als Soldaten und Priester ihn begleiten wollten, schickte er sie zurück. Offenbar wollte der König einen Augenblick allein sein, bevor er sich mit der zweiten Angriffswelle selbst in den Kampf begeben würde.
    Nachdem die Gegner in der Ebene aufeinandergeprallt waren, tobte eine erbitterte Schlacht, und die Welt begann, den Geruch des Todes zu atmen. Anfänglich zeigte sich die Überlegenheit der schnellen und wendigen Jobbágy, die dem königlichen Heer empfindliche Verluste zufügten. Doch die gepanzerten Reiter drängten die Jobbágy immer weiter zum Fluss zurück.
    Otto hatte inzwischen das Zelt erreicht und war dahinter verschwunden. Thankmar setzte sich in Bewegung. Im Gehen griff er nach dem Messer unter seinem Mantel. Er hatte es am Vortag einem Ungarn abgenommen, den er beim Kampf an der Augusburg getötet hatte. Es war ein gutes Messer mit einer scharfen Klinge. Einer sehr scharfen Klinge.
    Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Soldaten der Leibgarde. Sie blickten aufs Schlachtfeld.
    Thankmar ging weiter. Kam zum Zelt. Drehte sich ein letztes Mal um. Niemand beachtete ihn.
    Otto kniete hinter dem Zelt auf dem Boden und kehrte Thankmar den Rücken zu. Die goldene Lanze lehnte an der Zeltwand.
    Thankmar berührte mit der linken Hand seinen Talisman, einen etwa fingerlangen, spitz zulaufenden Holzspan, den er an einem Lederband um den Hals trug. Während er sich an den König heranschlich, hörte er ihn murmeln. Otto hatte die Hände vor der Brust gefaltet und sprach ein Gebet.
    «O Herr!», sagte er. «Du lässt deine Feinde zurückweichen, und sie kommen um vor deinem Angesicht. Denn du sitzt auf dem Thron als gerechter Richter …»
    Thankmar schnellte vor, das Messer in der rechten Hand. Da sah er zwei Jobbágy aus den Wäldern jenseits der Hügel in vollem Galopp heranstürmen. Es musste ihnen gelungen sein, die Linien des königlichen Heeres zu umgehen, oder sie gehörten zu den Überlebenden des Trupps, der von Konrad aufgerieben worden war.
    Auch der König hatte die Angreifer bemerkt und hob den Kopf. Thankmar stand einen Schritt hinter ihm und hatte das Messer ausgestreckt.
    Da schoss einer der Ungarn einen Pfeil ab. Er verfehlte den König um Haaresbreite, streifte aber Thankmar und bohrte sich dann in die Zeltwand. Ein brennender Schmerz flammte in Thankmars Schulter auf.
    Er machte den letzten Schritt.

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    Teil I
    Herbst 956
    Blutfeuer brannten in brennenden Wunden.
    Schwerter tauchten in die Leiber der Leidenden.
    Um die Schilde spritzte der Schaum der Wundenmeere,
    als die Flut der Pfeile niederging
    und im Sturme Odins, in den Schwerterströmen, viele Männer stürzten.
    Aus Snorris Königsbuch (Heimskringla)

1.
    Der dunkle Krieger fuhr nach Süden.
    Seit Tagen blähte ein Herbststurm aus nördlicher Richtung das Segel und trieb das Handelsschiff seinem Ziel entgegen. Wellen klatschten gegen den Rumpf. Tosendes Wasser rüttelte an den Planken und warf an Deck alles hin und her, was nicht fest verschnürt war. Die Reisenden suchten unter Tüchern und zwischen Kisten und Fässern Schutz vor den Naturgewalten.
    Nur der Krieger stand ganz vorn im Bug, wie der Wächter eines Totenschiffs. Die linke Hand lag am Vordersteven, die rechte am Griff seines Schwertes, das unter dem dunklen Mantel in einer Lederscheide steckte. Das lange schwarze Haar war von Regen und Gischt durchnässt und klebte ihm in Strähnen auf Stirn und Wangen. Wassertropfen fingen sich in seinem struppigen Bart.
    Der geheimnisvolle Eindruck, den der Krieger auf die anderen Reisenden machte, wurde durch einen Raben verstärkt, der ihm nicht von der Seite wich. Auch jetzt, als die Wellen das Schiff schüttelten, saß der Vogel mit vom Wind zerzausten Gefieder auf der Schulter des Mannes. Nur hin und wieder ließ er ein Krächzen hören, das klang, als komme es aus den Tiefen der Unterwelt.
    So fuhren der Krieger und der Rabe einem Ziel entgegen, von dem niemand an Bord sagen konnte, wo es lag und was geschehen würde, wenn der Mann dort ankam. Die anderen mieden den unnahbar wirkenden Mann und machten einen weiten Bogen um ihn, so gut dies an Bord eben ging.
    Aber von einem waren sie alle überzeugt – dass der Mann mit dem Tod im Bunde stand.
    Vor dreizehn Tagen hatte das Handelsschiff, eine bauchige
knörr
, im Hafen von Hladir im Lande Nordmoer eine Ladung bestehend aus Malz, Weizen und Honig gelöscht. Im Gegenzug hatte man gepökeltes Robbenfleisch, Walrosszähne und Pelze von
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