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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes
Autoren: Axel S. Meyer
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gefüllte Körbe und Tongefäße, in denen Getreide und Mehl gelagert wurden. Dem Bischof war anzusehen, dass er es kaum erwarten konnte, endlich mit dem Verhör zu beginnen.
    Thankmar biss ein großes Stück von der Wurst ab. Er hatte Zeit. Zumindest das hatte ihn die bittere Erfahrung gelehrt, die er vor gut einem Jahr bei der Schlacht gegen die Ungarn machen musste: Er durfte niemals überstürzt handeln.
    Er war so nah dran gewesen. So verdammt nah!
    Nur einen Wimpernschlag war er davon entfernt gewesen, seinem Onkel die Kehle durchzuschneiden – seinem Onkel, dem König. Dann kamen die beiden Jobbágy. Bevor Thankmar den König töten konnte, waren die Angreifer so nah, dass Thankmar eine Entscheidung treffen musste: Entweder würde er sich gegen die Ungarn wehren, oder sie beide – der König
und
Thankmar – würden ihr Leben verlieren. Also tötete Thankmar einen der Ungarn, indem er ihm das für Otto bestimmte Messer in die Brust warf. Den anderen Reiter spießte er mit der goldenen Lanze auf.
    Was für eine Ironie des Schicksals! Thankmar wollte den König töten, stattdessen hatte er dem Bastard das Leben gerettet. Davon schienen alle überzeugt zu sein – zumindest fast alle. Die Soldaten, die kurz darauf beim Zelt eingetroffen waren, hatten Thankmar einen Helden genannt. Ebenso wie die Überlebenden der Schlacht, aus der Ottos Heer als ruhmreicher Sieger hervorgegangen war.
    Man feierte den König als Bezwinger der Ungarn und Thankmar als Retter des Königs.
    Nur einer hatte Thankmar nicht gefeiert – der König selbst.
    Otto musste geahnt haben, was Thankmar im Schilde führte. Doch im allgemeinen Sieges- und Freudentaumel war es dem König unmöglich gewesen, Thankmar für einen Verdacht zu bestrafen, den er niemals hätte beweisen können. Und so hatte sich Otto seines gefährlichen Neffens entledigt, indem er ihn hierhergeschickt hatte. Weit weg vom König – in die dänische Mark, dieses versumpfte Niemandsland. Die Mark war ein Landstrich zwischen den Fronten der Sachsen und der Dänen; ein Fliegenschiss, dessen südliche Grenze der Fluss Egidora und im Norden der dänische Schutzwall, das Danewerk, markierten.
    Ottos vorgebliche Großtat, den Neffen mit dem Posten des Markgrafen zu belohnen, war natürlich eine Verbannung, und nur Thankmar und der König wussten das.
    Aber Otto hatte einen Fehler begangen. Er hätte Thankmar töten sollen. Hätte ihn töten müssen! Denn der Tag der Rache würde kommen, und dann wäre Thankmar besser vorbereitet. Deshalb musste er in Ruhe planen.
    Sein nächster Feldzug gegen den König hatte bereits begonnen, und heute Abend würde er einen weiteren Schritt in die Richtung tun, die ihn, den Enkel des Sachsenkaisers Heinrich und den Sohn Thankmars des Älteren, dorthin bringen würde, wo er hingehörte.
    Auf den Thron!
    Ein Schrei gellte durch das Langhaus.
    Es war Poppo, der lautstark seinem Triumph Ausdruck verlieh. Offenbar hatte er etwas entdeckt. Der Bischof eilte durch den Wohnraum, und mit der Miene eines erfolgreichen Jägers gab er Thankmar ein aus Bernstein geschnitztes Amulett.
    «Schaut es Euch an, Herr Graf! Das ist das Zeichen ihres Götzen Thor.»
    Auf dem Gesicht des Bischofs lag der seltene Anflug eines Lächelns.
    Thankmar betrachtete das Amulett, das so lang wie sein Daumen war.
    «Ich habe es in einem der mit Getreide gefüllten Krüge gefunden», sagte Poppo stolz. «Die Heiden haben sich Mühe gegeben, es gut zu verstecken. Aber mit Gottes Hilfe habe ich es entdeckt.»
    Poppo drehte sich zu den Bauern um. «Nichts», rief er mit ausgestrecktem Zeigefinger, «hört ihr – nichts bleibt dem Allmächtigen verborgen!»
    Erling und die anderen senkten die Köpfe noch tiefer. Gunnlaug weinte leise.
    Das Schlachtvieh sieht die gewetzten Messer, dachte Thankmar belustigt.
    Er streckte die Beine aus und biss noch einmal von der Wurst ab. Er wusste, was nun kommen würde. Schließlich war dies nicht sein erster Missionsbesuch mit Poppo.
    Der Bischof hielt das silberne Kruzifix in die Höhe und rief: «Im Jahre 948 , also vor nunmehr acht Jahren, verlieh mir die apostolische Vollkommenheit, der selige Papst Agapet, das Recht, die Früchte des Glaubens über die nordischen Völker strömen zu lassen. Und auf diesen Anfang himmlischer Barmherzigkeit folgte, durch Gottes Mitwirkung, ein solches Gedeihen …»
    Poppos Worte lullten Thankmar ein. Nur mit Mühe konnte er ein Gähnen unterdrücken.
    Nachdem der Bischof eine Weile von Gottes
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