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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes
Autoren: Axel S. Meyer
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    Prolog
    10 . August 955
    Am Tag des heiligen Laurentius stand die Schlacht, die über das Schicksal der Welt entscheiden sollte, unmittelbar bevor.
    Thankmar ritt in der Legion des Königs, der Legio Regia, einen Hügel hinauf. Von der Kuppe schaute er über die weite Ebene, durch die sich der Lech schlängelte, und sah den Feind – Tausende Magyaren, Ungarn, die sich in den Niederungen sammelten.
    Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. In der Nacht hatte es geregnet, aber jetzt, in der Mittagszeit, drückte sengende Hitze auf das Land und auf die Soldaten des Königs. Unter den Stiefeln der mit Rüstungen und Waffen beladenen Männer dampfte die Feuchtigkeit aus den Wiesen wie der Atem eines wilden Tieres.
    Aber nicht die Hitze oder der zahlenmäßig überlegene Feind unten am Fluss trieb Thankmar den Schweiß aus den Poren. Es war die Angst, sein Plan könnte scheitern.
    Er richtete sich in den Steigbügeln auf und sah König Otto inmitten der verbündeten Heerführer stehen. Die Lanze mit der goldenen Spitze und dem Banner des heiligen Michael in der rechten Hand, stand Otto wie versteinert da. Den Blick hatte er fest auf die Magyaren gerichtet, die ihre Heimat verlassen hatten, um das Königreich zu vernichten.
    Auf den Hügeln wuchs das königliche Heer. Immer mehr Soldaten drängten von hinten nach, die Hänge hinauf. Bayern, Franken, Sachsen, Schwaben und Böhmen bezogen Stellung an den Flanken der Legio Regia, die Otto unterstellt war und aus dreitausend sächsischen und fränkischen Panzerreitern bestand. Insgesamt waren es an die zehntausend Männer, die dem Ruf des Königs gefolgt waren, um das Reich gegen die Ungarn zu verteidigen. Doch deren Krieger waren in der Überzahl. Sie hatten die Steppen im Osten verlassen und in den vergangenen Monaten die Länder im Westen überschwemmt wie eine alles verschlingende Welle.
    Nach einer Weile hatte Thankmar genug gesehen. Er saß ab und führte sein Pferd durch die Reihen der berittenen Soldaten. In der Nähe des Königs blieb er stehen und lauschte den Worten der Heerführer. Er hörte, wie sie sich gegenseitig Mut zusprachen, die Stärke ihrer Heere beschworen und die der gepanzerten Reiter. Wie sie Treue gegenüber dem König gelobten – und gegenüber Gott, dem Allmächtigen.
    «Mit Gottes Hilfe werden wir die Ungarn schlagen», rief Otto.
    Er reckte die Lanze, und das Sonnenlicht ließ die goldene Spitze erstrahlen.
    Jubel erhob sich. Priester und Bischöfe eilten herbei, warfen sich auf den von Pferdehufen gefurchten Boden und beteten. Für Gott und für den König!
    Für den König!
    Plötzlich lösten sich einige Hundert Ungarn aus der Frontlinie und jagten auf die Hügel zu, um das königliche Heer zu einem Gegenangriff zu provozieren. Sie waren geschickte Reiter und Bogenschützen. Im vollen Galopp schossen die Jobbágy, wie man die Reiterkrieger nannte, ihre Pfeile ab. Sie waren in ihren leichten Mänteln und mit den spitzen Filzkappen schneller und wendiger als die Panzerreiter, die unter dem Gewicht ihrer Helme, Brustpanzer und Kettenhemden schwitzten.
    Beim ersten Angriff waren die Jobbágy noch zu weit entfernt. Ihre Pfeile erreichten nicht einmal die Hügel. Die Ungarn stellten fest, dass Otto sich von dem Angriff nicht beeindrucken ließ. Sie hielten ihre Pferde an und verlegten sich für einen Moment wieder darauf, aus sicherer Entfernung das Heer auf den Hügeln zu beobachten.
    Ottos geistliche Eiferer hatten inzwischen ihre Gebete beendet. Da hörte Thankmar, wie der König die anderen Heerführer nach Konrad fragte. Konrad der Franke war ein enger Vertrauter des Königs. Ohne ihn wollte Otto nicht in die Schlacht ziehen.
    Hin und wieder preschten Jobbágy vor und schossen Pfeile ab. Immer näher wagten sie sich heran, und als ein sächsischer Soldat getroffen von seinem Pferd fiel, breitete sich Unruhe im königlichen Heer aus.
    Otto wartete noch immer.
    Endlich drang die Nachricht durch, dass Konrad eingetroffen sei. Kurz darauf stieß der Franke zu den anderen Heerführern. Er war völlig außer Atem, und sein Gesicht war dunkelrot vor Anstrengung. Keuchend erstattete er dem König Bericht.
    Thankmar konnte hören, dass Konrad gute Nachrichten überbrachte. Je länger Otto ihm zuhörte, desto mehr entspannten sich seine Gesichtszüge. Als das königliche Heer am Morgen von der Augusburg zu den Hügeln gezogen war, so erzählte Konrad, hätten Ungarn die Nachhut angegriffen, den Tross geplündert und
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