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Racheakt

Racheakt

Titel: Racheakt
Autoren: F Steinhauer
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    Sie lauschte vorsichtig in sich hinein.
    Zu ihrer eigenen Überraschung fühlte sie sich inzwischen recht wohl in ihrem Leben. Das war eindeutig mehr, als sie vor einiger Zeit noch erwartet hätte. Nicht, dass nun alles perfekt gewesen wäre, aber wer wollte das schon. Perfektion war Stillstand. Entwicklungsfähigkeit war das Schlüsselwort und sie fand, sie habe sich sogar unerwartet gut entwickelt.
    In ihrem Leben würde es wahrscheinlich nie einen Mann geben – und wenn schon. War das wirklich von Bedeutung? Wie viele Frauen lebten in Beziehungen und waren kreuzunglücklich, das bewies doch wohl ausreichend, dass der Mann nicht das glückselig Machende für die Frau war! Männer! Sie dachte es nicht ohne leise Verachtung. Männer ließen sich immer blenden, manipulieren und waren für Frauen im Grunde leicht zu durchschauen. Sie lachte trocken. Illusionen hatte sie schon vor mehr als zwei Jahrzehnten begraben.
    Sie kam sehr gut allein zurecht, stellte sie entschlossen fest. Nur schwache Charaktere neigten zu kindischen Einsamkeiten.
    Zufrieden vor sich hin summend bog sie auf die Burger Ringchaussee ein. Der Heimweg zu Fuß war fester Bestandteil ihres neuen Sportprogramms, um das Joggen im Winter zu ersetzen, und sie empfand es als besonders angenehm, dass außer ihr um diese Zeit nur noch wenig Menschen unterwegs waren. Sicher, für Touristen und kinderreiche Familien bot der Spreewald im Sommer viel Natur und die Möglichkeit die Fließe zu befahren, die Seele baumeln zu lassen, Radtouren zu unternehmen und vieles mehr – aber jetzt im Oktober gab es kaum noch Urlauber hier.
    Ihre noch feuchten Haare waren unter einer sportlichen Mütze vor der Kälte geschützt, das nasse Saunatuch mit dem eingerollten Badeanzug war im Rucksack über ihrer linken Schulter verstaut. Sie schritt zügig aus, um nicht auszukühlen und warf einen kritischen Blick zum Himmel.
    Schon dunkel, dachte sie beiläufig. Nach diesem total verkorksten Sommer kam nun also auch noch ein viel zu früher Herbst. Na ja. Dank der neuen Therme, die vor vierzehn Tagen feierlich eröffnet worden war, konnte sie nun jedenfalls witterungsunabhängig Sport treiben.
    Sport, das Allheilmittel gegen Schmerzen aller Art. Ihr Allheilmittel. Realitätserprobt und alltagstauglich.
    An der Ecke folgte sie dem Schwung der Straße. Nun war es nicht mehr weit. Zu Hause warteten eine gute Flasche Wein und der BBC – Film Deep Blue, um den Abend abzurunden.
     
    In dem Moment, als sie sich der seltsam verstohlenen Schritte hinter sich bewusst wurde, erkannte sie, dass er wohl schon seit einer Weile hinter ihr her war. Unbehagen machte sich breit. Kein Zweifel: Das war sie nun, die viel beschworene Situation, vor der Mütter ihre Töchter immer gewarnt hatten – oder machte sie sich nur verrückt, weil ein harmloser Spaziergänger den gleichen Weg hatte wie sie?
    Es war zu spät, viel zu spät um im Ernstfall etwa noch auf Hilfe hoffen zu können – die letzten Häuser lagen schon weit hinter ihnen und neben der Straße, die im Sommer stark befahren war, jetzt aber völlig einsam dalag, wucherte dichtes Buschwerk bis kurz vor den Waldrand.
    Ihr Atem ging schnell und ihr Puls raste. Unruhe kroch in ihr hoch, Adrenalin beschleunigte ihre Schritte. Bestürzt registrierte sie, wie auch die Verfolgerschritte schneller wurden, ihr forsches Tempo mühelos mithalten konnten, ja sogar näher zu kommen schienen.
    Sie warf einen gehetzten Blick über die Schulter, konnte aber in der Dunkelheit niemanden erkennen. Unvermittelt rannte sie los. Der Rucksack, der rhythmisch gegen ihre linke Lende schlug, brachte sie bei jedem Schritt ein wenig aus dem Gleichgewicht. Und plötzlich waren die Schritte hinter ihr nicht mehr zu hören. Hatte sie ihn abgehängt? Verunsichert blieb sie stehen, hielt den Atem an, lauschte angespannt. Der in der Lausitz übliche Dauerwind raschelte mit dem trocknenden Laub der Bäume, als spiele er lüstern mit den Blättern, die sich ihm bald als willenloses Spielzeug würden überlassen müssen. Doch sonst herrschte um sie herum Stille.
    Eiseskälte kroch in ihr hoch.
    Sie spürte, wie ihre Knie zu zittern begannen.
    Gehörte oder gelesene Verhaltensanweisungen jagten sich in ihrem Kopf: Mitmachen, damit der Täter nicht noch mehr in Rage geriet – auf jeden Fall heftig zur Wehr setzen, damit er nicht glaubte, sie sei eine Schlampe oder Hure – versuchen das wahre Motiv hinter der Tat zu erkennen. War es Machtstreben, Rache, blinde Wut …
    Wie
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