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0802 - Besuch aus der Hölle

0802 - Besuch aus der Hölle

Titel: 0802 - Besuch aus der Hölle
Autoren: Christian Montillon
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Griechenland, Paxos, eine Insel im Ionischen Meer
    »Sie geht zu ihm«, zischte die alte Frau. »So ein junges Mädchen, und sie läuft zu dem seltsamen Kauz.« Es hätte ihres Kopfschüttelns nicht bedurft, denn das Unverständnis darüber stand ihr ins Gesicht geschrieben.
    »Sie ist eben keine von uns. Genauso wenig wie er.« Der Greis auf der brüchigen hölzernen Bank neben ihr sah die Sache gelassener. »Sie sind beides Engländer, und sie passen gut zusammen.«
    Diana hörte im Vorbeilaufen, was die beiden sprachen, doch sie achtete nicht darauf. Sie war in Sorge, denn ihr Bruder Charles war seit heute Vormittag verschwunden. Deswegen war sie auf dem Weg zu Andrew Millings, der in einem einsamen Haus am Rand der Klippen lebte. Seit er vor fünf Jahren auf die Insel gekommen war, hatte er sich einsiedlerisch dorthin zurückgezogen. Nur mit ihrem Bruder Charles hatte er hin und wieder Kontakt gepflegt.
    Der breitschultrige Andrew hatte Diana vom ersten Moment an fasziniert. Sie war damals noch keine achtzehn gewesen, und seitdem gingen ihr seine eisgrauen Augen nicht mehr aus dem Sinn. Er war drei Jahre älter als sie. Er besuchte seit einigen Monaten häufig ihren Bruder, und Diana hatte es meist einrichten können, dann zufällig auch im Wohnzimmer zu sein.
    Sie hatte die Häuser der kleinen Ortschaft hinter sich gelassen und ging rasch unter der noch immer heiß vom Himmel brennenden Abendsonne den kleinen Feldweg entlang, der zum Haus am Rand der Klippen führte. Der Wind wurde stärker, als sie die Bäume hinter sich ließ und das Meeresrauschen zunahm. Das Atmen hinterließ so nahe am Meer einen leichten Salzgeschmack auf den Lippen.
    Hoffentlich war Charles bei Andrew. Es war ungewöhnlich, dass er sich den ganzen Tag nicht gemeldet hatte; ihre Eltern machten sich ebenso Sorgen wie sie selbst.
    Ihr Herz klopfte allerdings nicht nur deshalb so stark, dass sie das Pochen ihrer Halsschlagader fühlen konnte - sie hatte es in all den Jahren nie gewagt, Andrews Haus aufzusuchen. Er hatte es nicht gern, wenn Gäste kamen. Charles war der Einzige, der hin und wieder zu Besuch kommen durfte.
    Sie trat an das alte Steinhaus, das Andrew bei seinem Einzug in wenigen Wochen aus einer verfallenen Mauerruine errichtet hatte. Sie klopfte.
    Wenig später wurde der Vorhang am Fenster neben der Haustür zurückgezogen. Erstaunen blitzte in Andrews Augen, als er Diana erkannte. Die Tür wurde geöffnet, Andrew blickte sie auffordernd an.
    »Ist… ist Charles bei dir?«, stotterte sie und schalt sich dafür innerlich eine Närrin. Warum benahm sie sich in seiner Gegenwart nur ständig wie ein Kleinkind?
    »Ich habe ihn den ganzen Tag nicht gesehen.« Seine tiefe Stimme ließ einen Schauer über ihren Rücken rinnen.
    »Darf ich reinkommen?«, fragte sie und machte forsch einen Schritt nach vorn.
    Andrew trat zurück, und sie schritt ins Innere des kleinen Steinhauses, wo sie angenehme Kühle empfing. Das Zimmer war erstaunlich gemütlich eingerichtet. Eine helle Holztreppe führte ins Obergeschoss.
    »Ich freue mich, mal dein Haus von Innen bewundern zu dürfen«, sagte Diana. »Wie bist du damals daran gekommen?«
    »Du weißt, dass ich nicht gern Besuch empfange«, lenkte er ab. Diana war enttäuscht, meinte aber, ein kurzes Lächeln auf seinen Zügen wahrgenommen zu haben. Und hatte er nicht ein wenig zu lange auf ihr verschwitztes rotes Top gesehen? »Wieso suchst du Charles?«
    »Er ist seit heute Morgen verschwunden, und keiner weiß, wo er sich herumtreibt. Vater und Mutter machten sich Sorgen, als ich vorhin nach Hause kam. Ich dachte, er sei vielleicht bei dir.« Wie nebenbei zupfte sie an ihrem Top, um es ein wenig mehr über ihre vollen Brüste spannen zu lassen.
    »Da muss ich dich enttäuschen.«
    Das, was du siehst, enttäuscht dich aber offensichtlich nicht… Ihr war nicht entgangen, dass seine Blicke ihren Bewegungen genau gefolgt waren.
    Sie blieb noch einige Minuten, und als sie empfand, dass die Luft zwischen ihnen zu knistern begann, stand sie auf. »Ich muss gehen.«
    Als sie zum Dorf zurücklief, wusste sie, dass er angebissen hatte. Endlich.
    Hinter ihrer Zufriedenheit lungerte jedoch immer noch die Angst um ihren Bruder…
    ***
    Verwirrt ging Andrew Millings zu Bett. Die Gefühle in ihm vollführten ein wildes Crescendo. Der bloße Gedanke an Diana versetzte ihm einen Stich im Herzen.
    Diana hatte sich offensichtlich in ihn verliebt.
    Er ballte die Hände zu Fäusten. Er konnte sie doch nicht in die
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