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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Autoren: Christoph Fromm
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    D as Wasser war immer noch sehr warm, und die Sonne lachte vom Himmel, lachte unter anderem über die Reste des Pionierbataillons 21, die die Toskana zweiter Klasse verließen.
    Italien, Ende September 1942.
    Der Zug fuhr dicht am Strand entlang. Leutnant von Wetzland schrieb einen Brief. Er war der Einzige im Abteil, der nicht schwitzte. Der Obergefreite Fritz Reiser und der Unteroffizier Manfred Rohleder hingen am offenen Fenster und starrten wehmütig auf das Gewirr aus nackten Leibern und Wellen. Ihre frischen Orden, die man ihnen für den glorreichen und vergeblichen Vormarsch auf El Alamein verliehen hatte, glitzerten in der Sonne. Sie waren noch einmal davongekommen, im Gegensatz zu ihrem Bataillon, das sie drüben unter Sand und Trümmern zurückgelassen hatten, bis auf die wenigen, denen das seltene Privileg zuteilgeworden war, ihre Verletzungen – soweit sie reparabel waren – an der Riviera auszukurieren, bevor es zurück nach Deutschland ging und von dort mit einem neuen Bataillon in eine neue Schlacht; denn der Krieg war zwar längst gewonnen, so hieß es, aber ein großes Schlachten gab es immer wieder.
    In Italien war weniger los gewesen, als sie es sich vorgestellt hatten. Fritz war immer noch Jungfrau, und auch Rollo war diesmal nicht bis in den Mannschaftspuff vorgedrungen. Nicht einmal ein Geburtstagsgeschenk für Rollos Frau hatten sie gefunden. Schuld daran hatte ihr ehemaliger Vorgesetzter, Oberleutnant Wolff, den Fritz und Rollo nach Dienstschluss in der obligatorischen Skatrunde Lupo genannt hatten und der jetzt ebenfalls nach Hause fuhr, allerdings in einem anderen Zug und in einem Rollstuhl, der bei jeder Bewegung leise quietschte.
    Sie hatten einen letzten Ausflug zu dritt gemacht, gemeinsam mit zwei Mädchen, für die sie den R est ihrer Gemeinschaftskasse geopfert hatten, weil sie angeblich aus dem Offizierspuff stammten, zu dem die unteren Dienstgrade normalerweise keinen Zutritt bekamen. Aber mit Lupo war das etwas anderes gewesen. Er war und blieb Offizier, auch wenn er durch einen Granatsplitter einen Dachschaden erlitten hatte und ständig von achtzehn bis hundertvierundvierzig reizte, das allerdings ohne Fehler. Seine Alte hatte trotzdem bereits den Scheidungsantrag eingereicht.
    »Bier und Sand.« Rollo blinz elte nachdenklich durch die Öffnung seiner Bierflasche in die grelle Sonne. »Scheiß an die Wand.«
    Er war bereits wieder genauso besoffen wie am Tag zuvor, als er nach dreizehn Flaschen lauwarmem Pils vorgeschlagen hatte, Lupo den letzten Freundschaftsdienst zu erweisen, indem man ihn möglichst schnell und schmerzlos ins Jenseits beförderte. Fritz hatte heftig widersprochen und Lupo den zwei Italienerinnen in einem Bootsschuppen überlassen. Dort hatte Lupo seine Männlichkeit wider Erwarten so eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass selbst Rollo nach der mit schwerer Zunge vorgebrachten Frage »Wie kann ein Mensch so ficken, der nicht mal mehr Kartenspielen kann?« zu der Überzeugung gelangt war, Lupo habe doch noch etwas vom Leben zu erwarten. Er war so ausdauernd gewesen, dass sie beinahe zu spät zur Ordensverleihung gekommen wären. Dann hatte der am Rand des Kasernenhofs abgestellte Lupo angefangen, seinen ehemaligen Männern Kommandos zuzubrüllen, und der neue Leutnant hatte peinlich berührt versucht, seinen blöd geschossenen Vorgänger und vielleicht auch die Angst vor einem ähnlichen Schicksal zu ignorieren, ehe er Fritz barsch den Befehl erteilt hatte, den Kranken ins Lazarett zu bringen.
    Fritz hatte Lupo zum Abschied den Rest ihres gemeinsamen Geldes für eine Jacke geschenkt. Es war um diese Jahreszeit bereits kalt zu Hause. Rollo hatte ihm trotzdem Vorwürfe gemacht. Das war Puffgeld gewesen! »Ungefickt an die Front, das bringt Pech!«
    Er war noch immer stinksauer. Es war eben wieder mal alles falsch gelaufen.
    Das dachte auch ihr neuer Leutnant, eine passende Metapher für seine Gemütslage suchend. Der Brief ging an seine Verlobte. Ihr letzter gemeinsamer Tag vor einer Woche in Florenz war nicht besonders harmonisch verlaufen. Fraglos liebte er Clara, liebte sie so sehr, dass er ihr Angebot, das erste Mal mit ihm zu schlafen, bevor er an die Front ging, ausgeschlagen hatte. Seine Ritterlichkeit hatte ihm verboten, sie zu sehr mit der Erinnerung an einen Mann zu belasten, den sie möglicherweise nie wiedersehen würde; um seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen, zog er andere Frauen vor.
    Es war seltsam
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