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Höhenrausch (German Edition)

Höhenrausch (German Edition)

Titel: Höhenrausch (German Edition)
Autoren: Ildikó von Kürthy
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«MIT SONNENUNTERGÄNGEN IST ES JA SO: KENNST DU EINEN, KENNST DU ALLE»
    Es ist nämlich so, dass ich lieber nicht mit dem Besonderen rechne. Wenn mir was Bemerkenswertes passiert, dann bin ich vorsichtshalber überrascht und denke zunächst, es müsse ein Missverständnis vorliegen. Würde man mir die Hauptrolle in «Pretty Woman II» anbieten oder würde mich ein Profikiller im Auftrag des usbekischen Geheimdienstes mit einem Infrarotgewehr umlegen, oder würde eine Masseurin sagen, sie beneide mich um mein festes Bindegewebe – herrje, da weiß ich doch sofort: Hier stimmt was nicht! Hier liegt eine Verwechslung vor. Das ist doch gar nicht mein Schicksal!
    Du musst auf der Hut sein, wenn dir was Ungewöhnliches passiert. Denn womöglich bist du gar nicht gemeint.
     
    In diesem speziellen Fall allerdings gibt es keinen Zweifel. Ich, Linda Schumann, bin fünfunddreißig Jahre alt, irgendwie ungebunden, aber irgendwie auch nicht, und stehe meinem Schicksal gegenüber. Und, nein, es ist nicht der Killer aus Usbekistan. Es ist auf gewisse Weise erheblich schlimmer, ohne dass ich an dieser Stelle den Opfern von Profikillern zu nahe treten möchte.
    Und? Erklingen Trompetenfanfaren in meinem Inneren? Ist die Szenerie von einem sanften, unwirklichen Zauber umwoben? So wie ich mir das vorgestellt hätte, wenn ich es mir überhaupt vorgestellt hätte? Natürlich nicht. Denn es kann keinen sanften, unwirklichen Zauber zwischen zwei Menschen geben, von denen einer Hüttenschuhe mit dunkelgrünem Zopfmuster trägt. Dieser eine bin bedauerlicherweise ich.
     
    So ist es ja irgendwie immer: Du hoffst, dass etwas Bestimmtes passiert. Du hoffst und hoffst so vor dich hin, bis du dir selbst albern vorkommst und es sein lässt. Und wenn es dann passiert, bist du komplett unvorbereitet. Nicht der leiseste Hauch von Bauchgefühl. Keine intuitive Stimme, die dich deutlich und rechtzeitig warnt: «Zieh sofort diese beknackten Puschen aus! Und übrigens wäre jetzt auch ein hervorragender Moment, dir noch schnell einen BH umzuschnallen – auch wenn du in den letzten Wochen den Eindruck gewonnen hast, dass in Berlin selbst die fragwürdigsten Brüste unbefestigt unter Motto-T-Shirts ihr Unwesen treiben dürfen.»
    Ja, das wären hilfreiche Hinweise gewesen.
    Ich bin allerdings leider absolut nicht der Typ für Vorahnungen. Das hat mir auch meine Wahrsagerin bestätigt. «Sie sind durch und durch unesoterisch», hatte sie vorwurfsvoll nach einem ersten Blick in die Karten gemeint und daraufhin den Tarif für «wenig schwingungsintensive Personen» berechnet.
     
    Es klingelt – und ich ahne wieder mal gar nichts. Wer soll das schon sein? Freitagabend. Kurz vor acht. Ich habe Sushi bestellt, und der einzige Freund, den ich in dieser Stadt habe, ist bereits da. Sitzt neben mir auf dem Sofa und isst abwechselnd Mozartkugeln und Erdnüsse im Honig-Knuspermantel.
    Mit vollem Mund sagt er: «Ich brauche eine Extraportion Sojasauce. Und sag ihm: Bloß keinen Ingwer! Ich kann davon sterben.»
    «Wolltest du nicht heute sowieso am liebsten sterben, genauso übrigens wie gestern und vorgestern?»
    «Linda, du weißt, ich verstehe Spaß, aber in meiner Situation habe ich ein Mindestmaß an Rücksicht verdient. Wenn ich sterbe, möchte ich mir schon noch selbst aussuchen, woran. Und zwar an gebrochenem Herzen – und nicht an einer allergischen Reaktion auf eine asiatische Wurzelknolle.»
    «Weißt du noch? Auf mich hast du auch allergisch reagiert, als wir uns kennen lernten – und du bist nicht gestorben.»
    «Aber fast! Und außerdem ist die Gesamtsituation doch überhaupt nicht vergleichbar. Ich war gesundheitlich viel robuster, weil ich damals noch glücklich war.»
    In schneller Folge verschwinden zwei weitere Mozartkugeln in seinem Mund. Gut, denn solange er isst, weint er wenigstens nicht. Da sind seine Prioritäten eindeutig: Erst der Speck, dann der Kummer.
    Damals ist jetzt sechs Wochen her.
     
    Unsere erste Begegnung war ein Albtraum. Wir lernten uns unter so unglaublich peinlichen Bedingungen kennen, dass wir nur eine Wahl hatten: Wir mussten uns hassen oder lieben. Eine ausgewogene Beziehung war unter den gegebenen Umständen nicht möglich. Wir entschieden uns zunächst für Hass.
    «Groß, schlank, Mitte bis Ende dreißig, gerne blond, gerne gebildet, vorzugsweise mit gesichertem Einkommen und interessiert an einer festen Bindung.»
    Das waren die Kriterien, die ich bei der Dating-Agentur «Lucky Number» in der Rubrik «Mit was
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