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Höhenrausch (German Edition)

Höhenrausch (German Edition)

Titel: Höhenrausch (German Edition)
Autoren: Ildikó von Kürthy
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Berlin.»
    «Angenehm. Linda Schumann. Neu-Berlinerin und als ‹Paprika› erstmals auf Jagd.»
    «Paprika? Feurig! Scharf! Puszta! Sex! Also der Name ist spitze. Er passt nur leider nicht zu dir. Aber das werden wir ändern!»

«DAS SCHICKSAL KLINGELT NICHT AN DER HAUSTÜR. JEDENFALLS NICHT AN MEINER»
    Ich öffne die Tür – und höre mich schreien. Das war mir natürlich schon in der nächsten Sekunde peinlich, aber ich bin nun mal schrecklich schreckhaft.
    Der fremde Mann vor meiner Tür sieht zwar nicht zwielichtig aus, aber der Sushi-Bote ist er definitiv nicht.
    «Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken», sagt er und hält, als würde das irgendwas erklären, eine Tasse in die Höhe. «Ich bin heute im ersten Stock eingezogen. Ich habe mich schon das halbe Treppenhaus hochgeklingelt, aber Sie scheinen die Einzige zu sein, die am Freitagabend zu Hause ist.»
    Ich finde, das klingt irgendwie abwertend, und plötzlich werde ich mir meines unvorteilhaften Outfits bewusst.
    Ungeschminkt in Hüttenschuhen mit grünem Zopfmuster: Mit diesem Styling möchte niemand einem neuen Hausbewohner gegenübertreten, dessen Schläfen auf genau die Art grau meliert sind, wie man es sonst nur aus Werbespots für schonenden Kaffeegenuss kennt.
    Ich hoffe bloß, dass Erdal auf dem Sofa liegen bleibt und den ohnehin verheerenden Eindruck nicht noch verschlimmert.
    «Wer ist das?» Erdal steht direkt hinter mir. Über Jeans und Pullover trägt er meinen Bademantel – ein älteres, inzwischen leicht fransiges Modell in ehemals Apricot – und, ich möchte auf der Stelle im Erdboden versinken, weiße Handschuhe! Die gleichen wie ich, wie mir entsetzt einfällt. Auch das noch. Hier ist nichts mehr zu retten.
    Erdal hatte dieses neuartige «Hand-Repair-System» von seiner Kosmetikerin in Hamburg empfohlen bekommen. Erst trägt man die «Super rich anti-aging hand-lifting-Maske» auf die Hände auf, dann streift man die von innen beschichteten Spezialhandschuhe darüber, die den Lifting-Effekt um sagenhafte fünfundvierzig Prozent steigern sollen.
    Die vorgeschriebene Einwirkzeit ist noch lange nicht vorüber, aber ich ziehe es vor, die Handschuhe diskret hinter meinem Rücken auszuziehen.
     
    Der Unbekannte vor meiner Tür sieht so erwachsen aus. Die meisten Männer, die ich kenne, sehen nicht erwachsen aus. Und sie sind es auch nicht, und zwar unabhängig davon, wie alt sie sind.
    Ich weiß nicht, woran es liegt, aber früher waren die Leute mit Mitte dreißig älter als heute. Früher gab es den Begriff «junge Erwachsene». Die dazu passenden Menschen sind aber irgendwie ausgestorben.
    Mein Vater hat sich nicht gefragt, ob er mit achtunddreißig schon bereit sei, Verantwortung für eine Familie zu übernehmen, oder welche Turnschuhmarke zurzeit modern ist. Mein Vater hatte da schon zwei Kinder, den Beruf, den er bis zur Rente behalten würde, und trug die Schuhe, die ihm meine Mutter kaufte.
    Irgendwann ist es uncool geworden, erwachsen zu sein, und es erschienen Magazine, die auf dem Cover mit der Losung «Eigentlich sollten wir erwachsen werden» werben. Ich könnte spontan mindestens fünf Leute Ende dreißig aufzählen, die sich begeistert eine Zeitschrift mit dem Slogan kaufen würden: «Eigentlich hätten wir schon vor zehn Jahren erwachsen werden sollen.»
    Jetzt bin ich mit Männern zusammen, die so alt sind wie mein Vater, als ich fünfzehn war. Die überlegen, den Beruf oder die Stadt zu wechseln. Oder die gar keinen Beruf haben und erwägen, ein paar Jahre im Ausland zu jobben oder ein Zweitstudium zu machen oder vielleicht lieber doch mal «was ganz anderes».
    Ich habe so die Nase voll von Typen, die einen Job haben statt einen Beruf, die «Projekte in der Pipeline» haben oder «projektbezogen auf Honorarbasis» arbeiten. Ganz zu schweigen von den Idioten, die schon ihr halbes Leben hinter sich haben, aber immer noch zögern, sich auf eine «feste Beziehung» einzulassen.
    Alle sind unheimlich flexibel und mobil, aber niemand will sich festlegen. Zumindest noch nicht. Später vielleicht. Aber irgendwie ist später meistens zu spät. In unserem unerwachsenen Dasein dauert nichts mehr richtig lange. Wer so irre mobil ist, der ist meistens schon wieder unterwegs, bevor es ernst werden könnte. Es gibt ihn nicht mehr: den Beruf fürs Leben, den Mann fürs Leben, den Freund fürs Leben. Nicht einmal mehr Jeans kann man länger als eine Saison tragen.
    Männliche Endvierziger hängen mittags mit bemüht
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