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032 - Töchter der Nacht

032 - Töchter der Nacht

Titel: 032 - Töchter der Nacht
Autoren: Edgar Wallace
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1
    Ungeduldig wartend saß Jim Bartholomew in Stiefeln und Sporen auf der Ecke des großen, schweren Eichentisches und beobachtete die Uhr auf dem Kamin. Er sah noch sehr jung aus, war aber bereits Direktor der wichtigsten Zweigniederlassung der South Devon Bank. Sein Vater war bis zu seinem Tod Generaldirektor des ganzen Unternehmens gewesen und hatte wahrscheinlich dafür gesorgt, daß sein Sohn so frühzeitig diese gute Position erhielt.
    Es gab ja wohl Leute, die in Jim nur den gutgekleideten jungen Mann sahen, der elegante Pferde liebte und außer Fuchsjagden und Vergnügungen keine anderen nennenswerten Interessen hatte. Allerdings hatten diese Leute nie mit ihm geschäftlich zu tun gehabt, sonst hätten sie ihr Urteil über ihn revidiert.
    Er sah auf seine Taschenuhr und seufzte.
    Heute lag wirklich kein Grund vor, pünktlich bis zum Schluß der Bürostunden zu bleiben. Gestern war in Moorford Markttag gewesen, und heute morgen hatte er die Kasseneinnahmen mit dem Zug nach Exeter gesandt.
    Aber in der Regel genierte sich Jim einfach vor seinem Assistenten. Dieser Mann amüsierte und verärgerte ihn zugleich. Einerseits bewunderte er seine gewissenhafte Pflichterfüllung, anderseits regte es ihn auf, wenn Stephen Sanderson die Vorschriften zu wörtlich und buchstäblich auslegte.
    Er sah noch einmal auf die Uhr, nahm die Reitpeitsche vom Tisch und ging ins Büro seines Assistenten hinüber.
    Stephen Sanderson schaute auf, als der Direktor eintrat, und warf dann einen Blick auf die laut tickende Uhr über der Tür.
    »In zwei Minuten schließen wir, Mr. Bartholomew«, sagte er nicht ohne vorwurfsvollen Unterton.
    Er war zweiundvierzig Jahre alt und arbeitete sehr fleißig und erfolgreich. Die Ernennung Jim Bartholomews zum Direktor hatte eine ehrgeizige Hoffnung seines Lebens zerstört, und aus diesem Grund konnte er keine besondere Zuneigung zu seinem Vorgesetzten aufbringen.
    Bartholomew war ein Mann, dem mehr das Leben in der freien Natur zusagte. Er hatte den Weltkrieg mitgemacht und sich ausgezeichnet, und er liebte Sport, Tanz, Gesellschaft. Sanderson dagegen arbeitete unermüdlich. Ihm kam es darauf an, sich hervorzutun. Am wohlsten fühlte er sich, wenn er zu Hause in seiner Bibliothek sitzen und sich neue Kenntnisse aneignen konnte. Außerdem hatte er noch ein Hobby oder, wenn man will, eine Schwäche - und sehr zu Stephens Leidwesen war ihm Jim Bartholomew dahinter gekommen.
    »Was soll's?« meinte Jim lächelnd. »Der Tresorraum ist schon geschlossen - und die zwei Minuten werden gleich um sein!« Als Sanderson nur die Nasenwinkel hochzog, ohne vom Schreibtisch aufzusehen, fragte Jim gutmütig: »Nun, was machen Ihre kriminalistischen Studien?«
    Der Mann wurde rot und legte ärgerlich die Feder nieder.
    »Mr. Bartholomew, dagegen muß ich aber protestieren! Sie spotten über meine Bemühungen, die eines Tages der Bank noch großen Vorteil bringen können.«
    »Sicher, sicher«, beruhigte ihn Jim. »Ich wollte Sie ja auch gar nicht kränken.«
    Sanderson zog einen großen Briefumschlag aus seiner Schreibtischschublade.
    »Ich habe kürzlich von einem guten Bekannten, mit dem ich korrespondiere, die Unterlagen eines berühmten Falles erhalten. Ich könnte Ihnen nur raten, sich die Sache einmal anzusehen«, sagte er mit Nachdruck. »Sie würden sich doch sehr wundern und Ihre skeptischen Bemerkungen unterlassen.«
    Wenn Mr. Sanderson erregt war, hörte man deutlich seinen nördlichen Akzent. Das war immer ein gefährliches Zeichen, wie Jim Bartholomew wußte.
    »Aber, mein lieber Freund, es ist tatsächlich ein ausgezeichnetes Studium, und ich gratuliere Ihnen nur dazu. Als ich während des Krieges im Marinenachrichtendienst tätig war, dachte ich selbst daran, Detektiv zu werden.«
    Wieder sah Mr. Sanderson auf die Uhr.
    »Nun, ich will Sie nicht aufhalten - Sie müssen ja gehen«, sagte er mit besonderer Betonung.
    Jim verließ lachend die Bank.

2
    Auf der Straße wartete sein Reitknecht mit dem Pferd. Jim Bartholomew stieg in den Sattel und ritt schnell durch die Stadt und die leichte Anhöhe hinauf. Als er die kleine Villenkolonie hinter sich hatte, kam er zu einer Art Talsenkung, die ›TeufeIskessel‹ genannt wurde.
    Auf der anderen Seite der Schlucht wartete jemand, ebenfalls zu Pferde. Deutlich hob sich die Gestalt im Sattel vom westlichen Horizont ab. Er entschied sich zum kürzesten Weg und ritt den steilen Abhang hinab zum Talkessel, in dem Felsblöcke herumlagen.
    Die junge Dame, die ihn
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