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Bankgeheimnisse

Bankgeheimnisse

Titel: Bankgeheimnisse
Autoren: Anne Sievers
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1. Kapitel

    Der Tote lag neben dem Drehsessel auf dem Fußboden, die Beine bis zu den Knien unter dem Schreibtisch verborgen. Er lag auf dem Bauch, die Hände auf dem grauen Velours zusammengekrümmt. Das Gesicht war blau angelaufen und zur Seite weggedreht, eine in Agonie erstarrte Grimasse. In den geöffneten Mundwinkeln klebte gestocktes Blut.
    Der Staatsanwalt stieß sich von der Fensterbank ab und ging auf die junge Frau zu, die den Raum betreten hatte. Er musterte sie gewohnheitsmäßig, bevor er ihr die Hand gab und sich vorstellte. Sie war zierlich und klein, vielleicht einsfünfundfünfzig. Ihr schmales Gesicht war blaß unter der Sonnenbräune. Ihr Blick zuckte zu dem leblosen Körper neben dem Schreibtisch hinüber, irrte ab, glitt über die anderen Männer in dem Raum und richtete sich schließlich auf den Staatsanwalt. Sein Krawattenknoten war verrutscht. »Ich bin Dr. Jäger von der Staatsanwaltschaft.«
    Sie ergriff seine Hand. »Herbst. Johanna Herbst.« Ihre Stimme klang beherrscht, aber er merkte, wie ihre Hand in seiner zitterte. »Was ist hier passiert?«
    »Er ist tot, das ist das einzige, was momentan definitiv feststeht.« Er wies auf die übrigen Männer. Einer war damit beschäftigt, den Umriß des Toten zu markieren, ein anderer fotografierte. Ein dritter sprach mit gedämpfter Stimme auf ein Bandgerät, hielt dann inne und schob einen Stapel Bücher auseinander, der auf dem Schreibtisch lag. Zwei weitere suchten den Teppich mit einer Lupe ab.
    »Selbstmord?«
    »Ob Mord oder Selbstmord, jedenfalls war es keine natürliche Todesursache, deshalb sind wir hier. Genaueres werden erst die gerichtsmedizinischen Untersuchungen ergeben. Auf den ersten Blick scheint sich’s aber um Selbstmord zu handeln. Es ist ein handgeschriebener Abschiedsbrief da. Er hat Gift genommen. Sonst gibt’s im Moment nichts dazu zu sagen. Das Spurensicherungsteam ist noch bei der Arbeit.«
    »Ja, aber warum...« Johanna Herbst verstummte gleich wieder. Er wußte, was sie hatte fragen wollen. Was hat die Staatsanwaltschaft und ein umfangreiches Spurensicherungsteam bei einem ganz normalen Fall von Selbstmord verloren? Sie hatte ihre Frage nicht beendet, denn sie hatte sie sich bereits selbst beantwortet. Es war eben kein ganz normaler Fall von Selbstmord. Es war der Selbstmord von Harald Klingenberg, Vorstandsvorsitzender einer der kapitalstärksten Privatbanken in Deutschland. Es würde in allen Tageszeitungen auf der Titelseite stehen. Ein Fall aus der V.I.P.-Kategorie.
    Staatsanwalt Jäger beobachtete sie. Sie war immer noch blaß, machte aber einen gefaßten Eindruck. Sie betrachtete den Toten jetzt, ohne den Blick abzuwenden. Die zusammengekrümmte Gestalt auf dem Fußboden wirkte wie eine grotesk verkleidete Puppe in einem dunklen Anzug, die grausame Kinder gewaltsam verbogen hatten, ein geradezu obszöner Gegensatz zu dem von teuren Designern aufwendig durchgestylten Büro.
    Johanna weitete die Nasenflügel. Es roch nach menschlichen Exkrementen. Aber im Raum schwebte noch ein anderer, kaum wahrnehmbarer Geruch. »Bittermandel. Zyankali?«
    Jäger nickte und sah sie abwartend an.
    »Wann?«
    Er wußte, was sie meinte. »Gestern abend, zehn Uhr. Plus minus eine Stunde. Also etwa vor elf Stunden. Kann ich mich mit Ihnen unterhalten?«
    Sie blickte sich im Raum um, musterte der Reihe nach die anwesenden Männer. Wieder spürte er mit der Gewißheit langjähriger Berufserfahrung, was in ihr vorging. »Kein Kompetenzgerangel mit der Kripo«, erklärte er. »Der Kommissar ist mit ein paar Beamten im Haus unterwegs, führt erste Vernehmungen durch. Auch Routine. Wer hat ihn zuletzt gesehen, wann, wo. Wie hat er ausgesehen, was hat er gesagt. Die üblichen Fragen. Nun, als zuständiger Staatsanwalt habe ich auch ein paar Fragen. Ich verschaffe mir gern erste Eindrücke. Eine Angewohnheit von mir. Ich möchte jemanden sprechen, der ihn näher kannte. Aber vom Vorstand ist noch niemand da. Von den Geschäftsführern und Direktoren auch nicht. Sie sind die erste.«
    »Ja, ich weiß. Ich komme immer relativ früh am Morgen. Sie werden mir sicher eine Menge Fragen stellen wollen. Können wir woanders hingehen?«
    Er ärgerte sich über die Befriedigung, die er wegen der zunehmenden Unsicherheit in ihrer Stimme empfand. Er analysierte sein Gefühl und stellte fest, daß es Neid war. Von der Sekretärin, die heute morgen als erste hier eingetroffen war und die Leiche gefunden hatte, wußte er, daß Johanna Herbst
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