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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche
Autoren: Thomas Glavinic
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Boot schoss mit einer Geschwindigkeit vorwärts, die es abheben ließ. Mit höllischem Lärm sprang es übers Meer, bis Marie es nicht mehr direkt gegen die Wellen lenkte. Jonas lachte hysterisch, Marie strich sich die Haare aus dem Gesicht und nickte ihm zu.
    Von allen Dingen, die ich kenne, kommt das hier einem Flugtraum am nächsten, rief sie. Was ist los? Was hast du?
    Was soll sein? fragte er.
    Was schaust du so?
    Ich sehe dich nur an.
    Das ist schön!
    Sie fuhr eine leichte Rechtskurve, um einem Segelboot weiträumig auszuweichen und es nicht durch ihre Kielwelle in Bedrängnis zu bringen, und hielt weiter aufs offene Meer zu. Bald darauf gerieten sie in stärkeren Seegang, als Maries Konzentration offenbar ein wenig nachließ, das Boot hob ab und schlug hart auf den Wellen auf. Das wars, dachte Jonas. Das Boot hob ab, schlug auf. Es sackte immer tiefer ins Wasser, und die Heckwelle, die das ganze Boot versenken konnte, klatschte immer wilder über dem hinteren Verdeck zusammen. Jonas lachte. Marie schaltete auf drei zurück und fing das Boot ab.
    Beinahe wären wir Fischfutter gewesen, sagte sie.
    Unsinn, du hattest alles im Griff.
    Wir wollen die Natur ja auch nicht mehr als notwendig belasten.
    Sie schaltete auf zwei, überließ ihm das Steuer und balancierte nach hinten, um zu sehen, ob ihre Vorräte und besonders die Stereoanlage den Zwischenfall überlebt hatten. Kurz darauf meldete sie, das Verdeck sei dicht geblieben. Sie schenkte zwei Plastikbecher Whisky ein und füllte sie mit Eis auf, reichte Jonas seinen Becher und setzte sich wieder neben ihn, wo sie die Füße mit den violett lackierten Nägeln gegen das Armaturenbrett stemmte.
    Er steuerte weiter geradeaus. Jedes Mal, wenn er über die Schulter schaute, war weniger vom Festland zu sehen, bis die Küste nur noch eine Ahnung war. Mit der schweren Dünung der offenen See kam er zurecht. Das Boot schnitt in gleich bleibendem, kräftigem Tempo durch das Wasser.
    Haben wir genug Benzin? fragte Marie.
    Es sind zwei Reservekanister da. Theoretisch könnten wir –
    Sehr gut, aber praktisch würde ich mir gern die Insel da drüben ansehen!
    Jonas schaute in die Richtung, in die sie mit ihrem Becher wies. Eine kleine Insel, kaum bewachsen, Häuser waren nicht zu sehen. Jonas schaute auf die Uhr, es war elf.
    Wird schon kein Stützpunkt der Küstenwache sein, sagte er.

16
    An einer primitiven Anlegestelle aus ein paar verwitterten Balken vertäuten sie das Boot und sprangen ans Ufer. Ein Rundgang überzeugte sie, dass sie die einzigen Menschen auf der Insel waren. Ein begehrtes Ausflugsziel schien sie jedoch zu sein, denn sie fanden eine Feuerstelle aus geschwärzten Ziegelsteinen und einigen Müll.
    Jonas stieg ins Boot und reichte Marie Decken, Badetücher, Taschen und die Stereoanlage ans Ufer. Mit der schweren Kühltasche in der freien Hand zog er sich an einem wackligen Pfahl selbst an Land.
    Er breitete die Decken aus. Eine Eidechse ließ die Zunge vorschnellen und schrie, ehe sie irgendwo hinter einem Baumstamm spurlos verschwand. Marie kam mit dem Fotoapparat zu spät.
    Was dagegen, wenn ich noch eine Runde schwimme?
    Mach nur. Ich habe hier ohnedies noch zu tun.
    Sie zog sich aus und ging zur Anlegestelle. Jonas stellte die Kühltasche und die Verpflegung, die darin keinen Platz gefunden hatte, in den dünnen Schatten eines Strauchs, der vor Trockenheit knisterte. Mit einer Plane baute er über den Decken einen behelfsmäßigen Sonnenschutz. Er nahm sich ein Bier und stellte die Stereoanlage an. Sie funktionierte nicht. Er dachte schon, sie hätte die Fahrt nicht überstanden, doch es waren nur die Batterien. Er legte neue ein, machte leise Musik, zog sich aus und legte sich auf die Decke.
    Marie rief ihn. Er brachte ihr ein Badetuch ans Ufer. Sie blieben am Steg stehen und schauten aufs Meer hinaus.
    Wir müssen wieder herkommen, sagte sie. Aber nicht allein.
    Nicht allein?
    Es gibt ein paar Menschen, die das auch sehen sollten.
    Ein paar sogar? fragte er. Wie viele denn?
    Außer uns derzeit noch drei, sagte sie und schlang die Arme um ihn.
    Derzeit?
    Die Betonung liegt auf derzeit.

17
    Den Salzstreuer hochhaltend, sagte Marie: Eines der großen Rätsel meiner Kindheit.
    Inwiefern?
    Als Kind fragte ich mich immer, wie es denn möglich sei, dass es genug Salz für alle gibt. Ich hatte von Salinen und Salzabbau gehört, und es erschien mir ungeheuer, dass auf diese Weise genug Salz für alle da sein könnte. Wenn meine Mutter schon eine Handvoll
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