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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche
Autoren: Thomas Glavinic
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wieder Insekten mit dem Geschirrtuch, das immer über seiner Schulter lag und mit dem er sich die Stirn wischte. Als Jonas ans Ende des Stegs ging, sah er im Wasser ein Motorboot.
    Das ist ein umgebautes Offshore-Powerboot, erklärte Franco. Umgebaut für Leute wie dich. Vollkommen illegal. Natürlich nicht so schnell wie im Originalzustand, aber noch immer dreimal schneller als normale Motorboote.
    Wem gehört es?
    Meinem Bruder. Ihr könnt es heute und morgen haben. Hier wissen alle Bescheid, aber lasst euch nicht einfallen, in einem anderen Ort anzulegen, die ziehen euch und das Boot sofort aus dem Verkehr!
    Ich bezweifle, dass ich damit fahren kann. Ist vermutlich komplizierter, als ein Auto zu lenken?
    Ich sagte doch: umgebaut für Leute wie dich! Gemeint war idiotensicher!
    Ächzend kletterte der Wirt die schwammige Holzleiter hinunter. Jonas folgte ihm. Das Boot schwankte unter ihrem Gewicht weniger, als er erwartet hatte.
    Also, sagte Franco, nachdem er verschnauft hatte. Siehst du diesen Hebel? Eins, zwei, drei, vier. Zwischen eins und zwei gibt es keinen großen Leistungssprung. Von zwei auf drei solltest du dich an den Haltegriffen festkrallen. Eigentlich braucht ihr Schutzhelme. Drei ist fünfzig Knoten. Mein Freund, weißt du, wie schnell das ist und wie schnell du dich dabei überschlagen kannst?
    Und was ist vier?
    Drei genügt, sagte Franco.
    Was ist vier?
    Drei genügt!
    Vier ist sehr schnell?
    Du stellst den Hebel nie auf vier! Du versprichst es mir hier in die Hand! Sieh her, in der anderen Hand ist der Zündschlüssel! Erst die eine Hand – dann die andere!
    Wie schnell, Franco?
    Die Hand!
    Ich verspreche dir, dass ich den Hebel nicht auf vier stellen werde. Meine Hand darauf! Abfallen soll sie mir, wenn ich den Hebel auf vier stelle!
    Franco grunzte zufrieden, und Jonas durfte den Schlüssel von seinem schmutzigen Zeigefinger pflücken. Auf dem Rückweg zur Kneipe sagte Jonas beiläufig:
    Übrigens wird Marie am Steuer sein.
    Er warf dem Wirt einen Seitenblick zu. Es dauerte eineWeile, bis Franco ein Licht aufging. Unter Flüchen trieb er Jonas mit dem Geschirrtuch hinauf zur Kneipe. Schon von Weitem rief Jonas Marie zu, sie solle ihre Sachen packen. Er drehte sich um, doch der dicke Wirt hatte die Verfolgung aufgegeben, lehnte wie ein Waschbär schnaufend an einer Palme und winkte ihnen zu.
    Sie warfen eine Decke und Badetücher ins Boot. Jonas schleppte die Kühltasche vom Hügel herunter an den Steg. In einem Laden kaufte er Obst und Wein. Marie trug ihre kleine Stereoanlage herbei.
    Du machst keine halben Sachen, wie? fragte er.
    Ich mache bloß keine halben Ausflüge.
    Wir haben alles? fragte er. Flaschenöffner?
    Habe ich als Erstes eingepackt.
    Na dann los!
    Die Bedienung des Bootes war wirklich unkompliziert. Auf Knopfdruck ertönte ein hüstelndes Brummen des Motors. Jonas schob den Hebel auf eins und wurde im selben Moment in den Sitz gepresst.
    Nicht schlecht! rief Marie. Zwei!
    Erst hinter den Bojen. Ich will nicht, dass jemand Schwierigkeiten kriegt. Weder wir noch Francos Bruder.
    Zwei! rief Marie.
    Na klar, rief er.
    Er schob den Hebel weiter. Wieder wurde er von der Kraft der Beschleunigung nach hinten gedrückt, der Motor tönte lauter, und Jonas hatte das reizvolle Gefühl, die Dinge nicht ganz unter Kontrolle zu haben. Im Nu hatten sie die Bojen, die den inneren Hafenbereich markierten, hinter sich gelassen.
    Drei! rief Marie und klemmte ihren Sombrero zwischen die Knie. Ich will drei sehen!
    Das Boot machte einen Satz. Jonas wurde mit solcher Wucht nach hinten gedrückt, dass er das Gefühl hatte, gleich würde das Boot vorne aufsteigen, um sich zu überschlagen. Feuchter Wind peitschte ihm ins Gesicht. Er bemühte sich, gleichmäßig zu atmen. Marie stieß ihn in die Seite.
    Immer mit der Ruhe!
    Los, los! rief sie.
    Bei diesem Tempo können wir nicht wechseln! rief er.
    Dann musst du eben wieder zurückschalten!
    Na ja, versprochen ist versprochen.
    Er schaltete auf zwei zurück und ließ Marie ans Steuer. Den Hut übergab sie ihm. Um die Hände frei zu haben, packte er ihn kurzweg in die Kühltasche. Er stemmte die Füße gegen die Armaturen.
    Bereit? fragte sie.
    Er hielt sich an einem ausgeleierten Haltegriff fest und nickte. Sie schob den Hebel auf drei. Viel Zeit gab sie ihnen nicht, um sich an die Geschwindigkeit zu gewöhnen, ehe sie mit einem triumphierenden Blick in seine Augen auf vier schaltete.
    Mein Gott, dachte er, als er die Gewalt des Motors spürte.
    Das
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