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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche
Autoren: Thomas Glavinic
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ein Fehler. Nennen Sie mir Ihre drei Wünsche.
    Hinter Jonas rauschte jetzt das Wasser, die Automatik des Springbrunnens hatte in eine höhere Stufe geschaltet. Ein Kind schrie vor Vergnügen, andere lachten. Aus einem Lautsprecher schnarrte eine Stimme, die ein Fußballturnier ankündigte. Ein Mann auf einem Fahrrad ließ die Tauben aufflattern, die sich mit aufgeregtem Gurren durch die Körner auf dem Weg pickten. Jonas erinnerte sich daran, dass er versprochen hatte, Tom und Chris für ihre Spielzeugeisenbahn die neue elektrische Lokomotive aus der Werbung mitzubringen. Die Geschäfte schlossen bald. Oder? Welcher Wochentag war heute eigentlich?
    Verwirrt rieb er sich die Schläfen, seine Kopfschmerzen wurden unerträglich. Bringen wirs hinter uns, dachte er.
    Also schön. Sie können mir drei Wünsche erfüllen?
    So ist es.
    Welche ich will?
    Welche Sie wollen.
    So. Ich könnte mir wünschen zu erfahren, ob das Leben einen Sinn hat. Nicht? Oder ob Sterben einen Sinn hat. Bloß könnten Sie nicht beweisen, dass Ihre Antwort stimmt.
    Fahren Sie fort!
    Ich hätte gern mehr über den Tod gewusst, ehe ich sterbe.
    Ja?
    Ich hätte vielleicht gern gewusst, wie es ist, knapp davonzukommen. Um ein Haar an großem Unheil vorbeizuschlittern, verstehen Sie?
    Fahren Sie fort!
    Wissen Sie, was ich mir schon lange wünsche? Weniger träge zu sein. Mehr zu unternehmen. Mich aufraffen zu können. Aktiver zu sein, neugieriger, lebendiger. Neues auszuprobieren!
    Fahren Sie fort!
    Ach, Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich alles wissen will. Verstehen will. Ich verstehe nämlich nichts. Habe nie etwas verstanden und werde nie etwas verstehen. Ich will wissen. Unbedingt, ja!
    Sind wir fertig? fragte der Mann.
    In Zukunft oder Vergangenheit schauen. Will das nicht jeder? Einen Blick auf das werfen, was gewesen ist? Auf das, was kommt?
    Das wünschen Sie sich nicht, sagte der Mann.
    Vor allem möchte ich verstehen! Ich will die Dinge und Verhältnisse verstehen, wenigstens ein wenig, ich verstehe sie nämlich nicht, ich habe von Grund auf nichts von der Welt verstanden, habe keine Antworten, und nichts außer weiterzuleben fällt mir ein. O ja, Herr Detektiv. Zumindest ein paar Hypothesen hätte ich gern, denn ich habe nicht einmal die. Wenn mich jemand fragt, will ich antworten können. Das wäre schön.
    Das wäre schön?
    Drei Wünsche! Ich könnte mir wünschen, mein Verhältnis zu den Menschen zu verstehen, richtig? Größekönnte ich mir in meinem Leben wünschen, Dramatik und Besonderheit. Ich könnte mir wünschen, ein anderer zu sein, ein reicher Erbe, der … Ich könnte mir einen sinnvollen Tod wünschen, damit er besser zu ertragen ist. Ich könnte mir wünschen, einen Feind – den ich nicht habe – töten zu lassen, theoretisch wohlgemerkt, denn praktisch würde ich das niemals tun. Ich könnte mir wünschen, die Dinge zu erfassen, wie sie sind, ja? Die Dinge erkennen und verstehen? Ja?
    Fahren Sie fort!
    Aber, Jonas bekam Schluckauf, ich wünsche das alles nicht. Ich wünsche mir: mehr Wünsche. Ich wünsche mir, dass sich alle meine Wünsche erfüllen. Dies ist mein erster Wunsch, und auf die anderen zwei kommt es nun nicht mehr an, ich schenke sie Ihnen.
    Der Mann setzte die Brille wieder ab, kaute am Bügel und blickte Jonas eine Weile offen an. Ausgezeichnet, lachte er. Das ist wunderbar!
    Wenn das so ist, Jonas klopfte sich auf die Brust, um den Schluckauf zu stoppen, wünsche ich mir als Erstes, dass wir von dieser Bank aufstehen und in entgegengesetzte Richtungen auseinandergehen.
    Von morgen an, Jonas, erfüllen sich Ihre Wünsche. Zwei Dinge noch: Geben Sie Ihren Wünschen Zeit, sich zu entfalten. Und: Sie können sich keine anderen Wünsche wünschen.
    Vielleicht wird mir das jetzt eine Spur zu spitzfindig.
    Wir sind schon fertig.
    Der Mann stand auf.
    Und nun? fragte Jonas. Werden Sie uns verraten?
    Neun Schluck Wasser.
    Was?
    Gegen den Schluckauf.
    Ich habe hier kein Wasser.
    Sie brauchen es nicht. Sie halten die Hand, als würden Sie ein Glas fassen, neigen den Kopf nach hinten und trinken langsam neun Schluck Wasser.
    Was ist in dem Aktenkoffer?
    Das möchten Sie nicht wissen.
    Ich dachte, mir werden nun alle Wünsche erfüllt! Was ist im Koffer? Ziehen Sie sich aus, stecken Sie sich eine Kinderschaufel in den Hintern und tanzen Sie über die Wiese! Los!
    Der Mann setzte die Brille ab. Sein ausdrucksloser Blick traf Jonas, dem so war, als würde ihn ein Gesicht auf einem Plakat bewusst
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