Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche
Autoren: Thomas Glavinic
Vom Netzwerk:
verschlafen und mit einem schmuddeligen Geschirrtuch auf der Schulter, stellte Jonas einen kleinen Tisch und einen Hocker vor die Tür und brachte ihm eine Zeitung.
    Was machst du so früh hier? Franco schmiegte dieWange an eine unsichtbare Frau und wiegte ihre Hüften. Warum liegst du nicht bei deinem Mädchen?
    Und du? fragte Jonas. Warum liegst du nicht bei deinem Mädchen?
    Mit dem Geschirrtuch verscheuchte Franco eine Fliege. Du solltest mal mein Mädchen sehen! rief er.
    Jonas legte die Zeitung ungelesen zurück. Er trank Kaffee und rieb sich die Schlafkrusten aus den Augen. Innerhalb von Minuten zogen Wolken auf. Wind blies, Jonas bekam eine Gänsehaut. Ab und zu trotteten knorrige alte Männer vorbei und warfen ihm gleichgültige Blicke zu. Er nickte, sie nickten zurück, die meisten von ihnen.
    Der Junge, dem die Wahrsagerin die Haare geschnitten hatte, spielte einsam mit einem Ball. Ein Fahrrad lehnte an einer Mauer. Aus dem Lokal drangen das Klirren von Geschirr, das Fauchen der Espressomaschine und Francos Flüche. Es war halb acht.
    Kann ein Fahrrad morgens müde sein? fragte Jonas den Jungen.
    Ein Fahrrad? fragte der Junge zurück. Müde?
    Jonas verschickte SMS, an Anne, an Werner, an Nina. Um zu erfahren, wie es Astor ging, rief er Joey an, von dem er wusste, dass er früh aufstand.
    A-a-a-alles ist g-g-gut, sagte Joey. E-e-e-e-e-e-es m-m-m-m–
    Wenn ich wieder da bin, nehme ich ihn mir zurück, sagte Jonas. Das weißt du doch? Das haben wir abgemacht, nicht wahr, Joey?
    N-n-n-n-n-nat-t-t-türlich. Es ist ei-ei-ei-eine edle K-k-k-k-k-k-katze. Ei-eine gl-gl-glorr-r-r-r-reiche Katze!
    So ist es, Joey. Pass weiter gut auf sie auf! Niemand kann das besser als du!
    Es wurde acht. Er schrieb Marie, wo er war, obwohl sie es sich denken konnte. Franco stellte die übrigen Tische und Stühle heraus. Jonas nickte den alten Männern zu und rieb sich die fröstelnden Arme.

13
    Von Tag zu Tag verlängerten sie. Drei Tage, vier, fünf. Im Haus der Tante kochten sie, spielten Billard, schauten DVDs, liebten sich. Ab und zu lagen sie am Strand. Einmal kam ein Krebs heraus und kniff Marie sanft in die Zehe. Sie ließ ihn gewähren. Der Krebs schien sie zu untersuchen. Während Marie aufrecht dasaß, tanzte das Tier um ihre Füße und verschwand schließlich wieder im Wasser.
    Viel Zeit verbrachten sie bei Franco. Jonas sah den alten Schachspielern zu, Marie lag mit hochgeschobenem T-Shirt neben der Kneipe im Gras und las ein Buch. Gelegentlich, wenn er ihr einen Becher voll Wein brachte oder eine Kleinigkeit zu essen, ertappte er sie mit seinem Daumenkino. Sie ließ es gern durchlaufen, mal in der vollen Länge der zehn Jahre, mal nahm sie alle Sommermonatsfotos heraus, mal die aus dem Winter. Und manchmal sah sie sich nur die aus dem Frühjahr an.

14
    Die Fischer wollten ihm Schach beibringen. Er spielte zwei Partien und nahm zur …
    Ich habe es getan, sagte Anne.
    Was hast du getan?
    Ich war im Krankenhaus und habe einige Tests gemacht.
    Und was haben sie festgestellt?
    Jonas ging um das alte Haus herum und lehnte sich gegen die Mauer. In seinem Nacken fühlte er kühl die rauen Ziegel.
    Jonas, mir fehlt nichts.
    Bitte wiederhole das.
    Ich bin gesund! Sie machen noch ein paar Tests, aber eigentlich ist alles klar! Der Arzt sagte, so etwas habe er noch nie erlebt!
    Wunderbar, sagte er, klappte das Handy zu und warf es in den Müll.
    … Kenntnis, dass er für das Spiel kein Talent hatte. Zudem gefiel es …
    Was Neues? fragte Marie.
    Er erzählte es ihr. Sie schauten einander an.
    Zufall, sagte sie.
    … ihm besser, daneben zu sitzen und die Kämpfe dieser qualmenden, schimpfenden, mit den Armen fuchtelnden Titanen zu verfolgen, an ihrer Seite Zeit verstreichen zu lassen, ohne Verantwortung für das Später, ohne Ziel, nur dem Moment ergeben.

15
    Franco fasste ihn am Handgelenk und zog ihn mit sich. Jonas, der gerade noch in der Sonne gedöst hatte, stolperte neben dem massigen Wirt die Straße zum Hafen hinab. Er war zu träge, um zu fragen, wohin sie gingen und was Franco von ihm wollte. Offenbar machte diese Willfährigkeit Franco einen Strich durch die Rechnung, denn als antworte er auf einen Protest, rief er aus:
    Wirst du gleich sehen! Nur nicht so ungeduldig! Ich habe etwas für dich und dein Mädchen!
    Franco führte ihn aus dem Hafenbereich hinaus und nahe den wenigen exklusiveren Ferienhäusern zu einem abgelegenen Steg. Mit ausladender Geste wies er auf das Wasser und verscheuchte im Moment darauf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher