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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie
Autoren: Paul Nolte
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I Einleitung: Fragen an die Demokratie
    Demokratie ist aktuell wie kaum zuvor – und wirft Fragen auf. Am Anfang des 21. Jahrhunderts steht Euphorie unmittelbar neben tiefer Enttäuschung. Gerade für Deutsche stand die Demokratie, nach 1945, lange Zeit auf dem Sockel wie ein Denkmal, dem man mit Ehrfurcht begegnete. Aber die Herrschaft des Volkes, der Anspruch auf gleiche Freiheit und Selbstregierung sind voller Konflikte und Widersprüche. Die Geschichte der Demokratie handelt nicht nur von Wachstum, Fortschritt und Erfüllung, sondern ist einer immerwährenden Suche vergleichbar. Sie vollzog sich nie geradlinig, sondern geriet in schwere Krisen. Was ist, was war Demokratie? Geschichte und Gegenwart verschränken sich, und die Antworten können kaum eindeutig sein, sondern laden zum Nachdenken über die Zerrissenheit eines Versprechens ein.
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    Das Jahr 2011 wird als ein Jahr der Demokratie in die Geschichte eingehen. Die Suche nach Freiheit und politischer Selbstbestimmung hat Menschen überall auf der Welt aufgerührt und auf die Straßen getrieben. Diktatoren wie Gaddafi sind gestürzt, autoritäre Regierungen vertrieben worden. Und doch lassen sich die Proteste nicht als ein strahlender Triumphzug der Demokratie lesen. Bürgerinnen und Bürger engagierten sich mit gemischten Gefühlen: Neben der Hoffnung auf freie Verhältnisse und bessere Zeiten, neben einem unbändigen Optimismus standen tiefe Ängste und Sorgen angesichts demokratischer Zustände, die für viele diesen Namen immer weniger verdienen. Nicht nur Diktaturen erfuhren die Wut ihrer Untertanen – auch in etablierten Demokratien des Westens artikulierten «Wutbürger» ihr Unbehagen gegenüber politischen Institutionen und Entscheidungsprozessen, in denen sie sich wie entmündigte Untertanen fühlen: machtlos und ausgeliefert an anonyme Systeme. Das Jahr der Demokratie erfüllte manche Träume, war aber zugleich ein Jahr der tiefen Krise und der Suche nach Demokratie jenseits der ausgetretenen Pfade.
    Der «arabische Frühling» bestätigte die Erwartungen derjenigen, die von einem letztlich unaufhaltsamen Siegeszug demokratischer Verfassung überall auf der Welt überzeugt sind. Am südlichen Rand des Mittelmeers und auf der arabischen Halbinsel, von Marokko bis Ägypten und von Syrien bis Jemen, erhoben sich Menschen gegen die verkrusteten und unfreien politischen Verhältnisse ihres Landes. Sie verlangten nach freien Wahlen und bürgerlichen Rechten, nach Teilhabe an der politischen Gestaltung ebenso wie nach freierer Luft zum Atmen in den allgemeinen, auch privaten Lebensumständen. In Tunesien und Ägypten mündeten die Ereignisse, einschließlich des Sturzes der bisherigen Regime, in eine regelrechte Revolution; in Libyen in einen Bürgerkrieg mit westlicher Intervention auf Seiten der Rebellen; in Syrien bislang in eine blutige Selbstbehauptung des Ancien Régime.
    Nordamerika und Europa erschraken, als der Volksprotest bewährte Bundesgenossen und vermeintliche Stabilitätsanker wie den ägyptischen Präsidenten Mubarak zu Fall brachte. Der Westen staunte, dass Bürgerinnen und Bürger überwiegend islamisch geprägter Staaten für Freiheit und Demokratie kämpften. Und die etablierten Demokratien fühlten sich letztlich bestätigt in ihrer Auffassung, dass Demokratie nicht eine kulturell-politische Besonderheit des Westens sei, die in anderen Regionen der Welt, angesichts unterschiedlicher Traditionen und Wertvorstellungen, unpassend bleiben müsse. Weil der Funke der «Arabellion» so schnell von einem Land zum andern übersprang, wurden in Europa Erinnerungen an den «Völkerfrühling» des 19. Jahrhunderts wach, an die eigenen Proteste gegen selbstverliebte Monarchien und für bürgerliche und politische Freiheitsrechte, wie sie in der Revolution von 1848/49 kulminierten. Wie damals kamen auch im 20.Jahrhundert die Fortschritte der Demokratie häufig in Wellen, in verdichteten Schüben wie nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg oder wie 1989. Das Jahr 2011 könnte also eine neue Welle der globalen Demokratisierung einläuten und die vermeintliche Unfähigkeit der arabischen Welt (und in anderer Perspektive: des Islam) zu freiheitlicher, partizipatorischer Verfassung widerlegen.
    Ob demokratische Proteste auf lange Sicht in stabile demokratische Institutionen münden, und ob
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