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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt
Autoren: Philip Kerr
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Geistliche die Nazis unterstützten. Aber wichtiger noch, ich fragte auch Pater Dömöter, der mir erklärte, der Papst selbst wisse über die Hilfe, die flüchtigen Nazikriegsverbrechern gewährt würde, in vollem Umfang Bescheid. Ja, er habe sich, sagte Pater Dömöter, sogar selbst dafür eingesetzt.
    «Keiner von uns würde diese Art Hilfe leisten, wenn der Heilige Vater es nicht so wollte», erklärte er. «Aber es gibt da einen wichtigen Punkt an dem Ganzen, den Sie verstehen müssen. Es ist nicht so, dass der Papst ein Judenhasser wäre oder ein Nazifreund. Es gab ja im Gegenteil viele katholische Geistliche, die von den Nazis verfolgt wurden. Nein, das ist rein politisch. Der Vatikan fürchtet und verabscheut die Kommunisten genauso, wie es die Amerikaner tun. Ehrlich, finsterere Motive gibt es da nicht.»
    Nun ja, damit war das geklärt.
    Sämtliche Anträge bei der DAIE mussten von der Einwanderungsbehörde in Buenos Aires gebilligt werden. Was hieß, dass wir fast sechs Wochen in Genua zubrachten, und in dieser Zeit lernte ich die Stadt ziemlich gut kennen. Sie gefiel mir sehr, vor allem die Altstadt und der Hafen. Eichmann wagte sich nicht vor die Tür, aus Angst, erkannt zu werden. Aber Pedro Geller wurde mein ständiger Begleiter. Gemeinsam erkundeten wir die vielen Kirchen und Museen von Genua.
    Geller hieß in Wirklichkeit Herbert Kuhlmann und war Sturmbannführer bei der 12. SS-Panzerdivision «Hitlerjugend» gewesen. Das erklärte aber noch nicht, warum er aus Deutschland fliehen musste. Und erst gegen Ende unseres Genua-Aufenthalts fühlte er sich in der Lage, über seine Geschichte zu reden.
    «Das Regiment lag in Caen», sagte er. «Ich kann Ihnen sagen, dort ging es ganz schön heiß her. Wir hatten Befehl, keine Gefangenen zu machen, nicht zuletzt, weil wir dafür gar nicht die Voraussetzungen hatten. Also haben wir sechsunddreißig Kanadier exekutiert, die, das muss man gerechtigkeitshalber sagen, uns womöglich ebenso exekutiert hätten, wenn die Situation umgekehrt gewesen wäre. Jedenfalls sitzt unser Brigadeführer dafür jetzt lebenslänglich in einem kanadischen Gefängnis, obwohl ihn die Alliierten ursprünglich zum Tode verurteilt hatten. Mir hat ein Münchner Anwalt erklärt, dass ich wahrscheinlich auch eine Gefängnisstrafe kriegen würde, wenn es zu einer Anklage käme.»
    «Erich Kaufmann?», fragte ich.
    «Ja. Woher wissen Sie das?»
    «Egal. Spielt keine Rolle.»
    «Er meint, dass die Situation sich bessern wird», sagte Kuhlmann. «In zwei, drei Jahren. Vielleicht auch erst in fünf. Aber ich bin nicht bereit, das Risiko einzugehen. Ich bin erst fünfundzwanzig. Mayer, mein Brigadeführer, ist seit Dezember ’45 im Bau. Fünf Jahre schon. Ich kann unmöglich fünf Jahre sitzen, geschweige denn lebenslänglich. Also setze ich mich nach Argentinien ab. In Buenos Aires gibt es anscheinend jede Menge Möglichkeiten, ins Geschäftsleben einzusteigen. Wer weiß? Vielleicht gründen wir beide ja gemeinsam eine Firma.»
    «Ja», sagte ich. «Vielleicht.»
    Dass Erich Kaufmanns Name plötzlich wieder auftauchte, machte mich fast schon froh, die neue Bundesrepublik Deutschland hinter mir lassen zu können. Ob es anderen passte oder nicht, ich war nun mal Teil des alten Deutschlands, nicht minder als Leute wie Göring, Heydrich, Himmler und Eichmann. Da war jetzt kein Platz mehr für einen, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, unbequeme Fragen zu stellen. Nicht in Deutschland, wo sich die Antworten oft als viel gewichtiger entpuppten, als es die Fragen gewesen waren. Je mehr ich über die neue Bundesrepublik las, desto mehr freute ich mich auf ein einfacheres Leben in einem wärmeren Klima.
    Nachdem unsere Einwanderungsanträge gebilligt worden waren, gingen Eichmann, Kuhlmann und ich am 14. Juni 1950 aufs argentinische Konsulat, wo man uns ein Dauervisum in unsere Rotkreuzpässe stempelte und uns die Identitätsbescheinigungen aushändigte, die wir der Polizei in Buenos Aires vorlegen mussten, um einen regulären Ausweis zu erhalten. Drei Tage später gingen wir an Bord der Giovanna , eines Dampfers mit Ziel Buenos Aires.
    Kuhlmann kannte inzwischen meine ganze Geschichte. Aber die von Eichmann kannte er nicht. Und erst nach mehreren Tagen auf See brachte es Eichmann über sich, zuzugeben, dass er mich kannte, und Kuhlmann zu eröffnen, wer er wirklich war. Kuhlmann war entsetzt, sprach kein Wort mehr mit Eichmann und bezeichnete ihn fortan nur noch als «dieses
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