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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt
Autoren: Philip Kerr
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Expolizisten. Aber das war der leichteste Teil.
    Offen sahen die Koffer eher wie Möbel- als wie Gepäckstücke aus. In der einen Hälfte war eine Kleiderstange mit einem Seidenvorhang und exakt hineinpassenden Kleiderbügeln, in der anderen befanden sich vier Schubladen. Der Wächter im Torhaus hatte mich auf die entscheidende Idee gebracht. Die Idee nämlich, dass ein Floh munter und froh im Haferstroh leben konnte. Und nicht nur ein Floh im Haferstroh, sondern auch ein Moskito in einem hübschen, großen, gemütlichen Überseekoffer.
    Ich öffnete den Karton und hob das Insektarium aus seinem Strohnest. Dann nahm ich die Moskitokäfige heraus, die selbst wie kleine Überseeköfferchen aussahen. Die Insekten darin sirrten ärgerlich, als beschwerten sie sich, dass sie so lange eingesperrt gewesen waren. Selbst wenn die ausgewachsenen Exemplare die Reise in die Vereinigten Staaten nicht überlebten, würden es die Eier und Larven nach dem, was mir Henkell erzählt hatte, sicherlich schaffen. Aber ich hatte keine Zeit, die Ansaugröhrchen zu benutzen. Ich platzierte einen Käfig in einer der Schubladen, durchstach dann mit meinem Taschenmesser die feine Gaze der Käfigwand, zog blitzartig die Hand aus der Schublade, schloss diese und machte den Koffer wieder ordentlich zu. Ebenso verfuhr ich mit dem zweiten Insektarium und dem zweiten Koffer. Ich hatte keinen Stich abbekommen. Aber sie würden welche abkriegen. Und ich fragte mich, ob die Stiche mehrerer Dutzend winziger Malaria-Überträger vielleicht genau der Anstoß sein würden, den Henkell und Grün brauchten, um endlich einen funktionierenden Impfstoff zu entwickeln. Um des Allgemeinwohls willen hoffte ich es.
    Ich ging zum Wagen zurück, und als ich den grünen Buick wieder da stehen sah, schien es mir doch eine Riesenschande, dass Jacobs ungeschoren davonkommen sollte. Aus reiner Gewohnheit probierte ich, ob die Wagentür abgeschlossen war. War sie nicht. Was einfach zu verführerisch war, um nichts damit anzufangen. Also nahm ich noch ein Insektarium aus dem zweiten Paket auf dem Rücksitz des Mercury und legte es auf den Boden hinterm Fahrersitz des Buick. Wieder durchstach ich die Käfiggaze und knallte dann schnell die Wagentür zu.
    Natürlich war es nicht die Rache, die ich mir vorgestellt hatte. Schon deshalb, weil ich nicht dabei sein würde, um es mitzuerleben. Aber es war die Art Gerechtigkeit, die Horaz, Plutarch und Quintilian anerkannt hätten. Die sie vielleicht sogar in irgendeiner axiomatischen Form gepriesen hätten. Kleine Wesen haben nun mal die Angewohnheit, die großen zu bezwingen. Und das war doch schon mal etwas.
    Ich fuhr zurück zum Kloster, wo Carlos Hausner eine Tasche voll Geld stehen hatte. Und wo er irgendwann einen neuen Pass und eine Schiffskarte nach Südamerika bekommen würde.

EPILOG
    Mehrere Monate brachten wir in dem Kemptener Kloster zu. Es stieß noch ein weiterer Mann zu uns, der ebenfalls auf der Flucht vor der alliierten Justiz war, und im Spätfrühling 1950 schlichen wir uns über die Grenze nach Österreich und von dort nach Italien. Aber irgendwie verschwand der vierte Mann, und wir sahen ihn nie wieder. Vielleicht hatte er es sich ja anders überlegt und wollte doch nicht nach Argentinien. Vielleicht hatte ihn aber auch ein Nakam-Kommando erwischt.
    Wir landeten in einem sicheren Unterschlupf in Genua, wo wir einen weiteren katholischen Priester trafen, Pater Eduardo Dömöter. Ich glaube, er war Franziskaner. Dömöter übergab uns unsere Rotkreuzpässe. Flüchtlingspässe nannte er sie. Dann gingen wir daran, die Einwanderungserlaubnis für Argentinien zu beantragen. Der argentinische Präsident, Juan Péron, ein Bewunderer Hitlers und Sympathisant der Nazis, hatte in Italien eine Organisation installiert, die sich DAIE nannte, Delegation für Argentinien-Immigration in Europa. Die DAIE genoss eine Art Diplomatenstatus und hatte Niederlassungen in Rom, wo die Anträge bearbeitet wurden, und in Genua, wo potenzielle Argentinien-Einwanderer einer ärztlichen Untersuchung unterzogen wurden. Im Grund waren das aber nur Formalitäten. Zu unseren Fluchthelfern zählten noch zwei weitere katholische Geistliche. Der eine war der Erzbischof von Genua, Giuseppe Siri, persönlich, der andere Monsignore Karl Bayer. Aber in unserem Versteck sahen wir Pater Dömöter am häufigsten. Er war Ungar und Priester der Gemeindekirche Sant’ Antonio, unweit des Sitzes der DAIE.
    Ich fragte mich oft, warum so viele katholische
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