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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt
Autoren: Philip Kerr
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ich zuletzt jemanden erschossen hatte. Aber ich würde nicht zögern. Zur Not würde ich sie alle töten.

42
    Es war bitterkalt. Ein Windstoß wehte mir einen Moment lang die Decke um den Kopf. Meine Kleider lagen in der Grube, mit feinem Puderzuckerschnee bestäubt. Aber ich war froh über den Schnee. Im Schnee würde ich das Blut sehen, wenn ich getroffen hatte. Ich bin ein ganz guter Schütze – mit der Pistole auf jeden Fall besser als mit dem Gewehr –, aber mit einer Acht-Millimeter im Freien denkt man leicht, man hat danebengeschossen. Anders als bei einer Fünfundvierziger. Wenn Zwi oder Schlomo zum Schuss kam, würde ich mit Sicherheit getroffen sein.
    «Wie steht’s mit einer letzten Zigarette?», fragte ich. Gib dem anderen immer was zum Nachdenken, ehe du ihn angreifst. Das hatten sie uns auf der Polizeischule beigebracht.
    «Zigarette?», sagte Zwi.
    «Muss ein Scherz sein», sagte Schlomo. «Bei dem Wetter?»
    Aber Zwi griff bereits nach seinen Zigaretten, als ich die Decke fallen ließ, herumwirbelte und schoss. Der Schuss traf Zwi in die Wange, gleich neben dem linken Ohr. Ich feuerte wieder und schoss ihm die Nasenspitze weg. Blut spritzte auf Schlomos Hals und Hemdkragen wie Rotz von einem rücksichtslosen Nieser. Der Hüne glotzte wie ein Ochse, grabbelte aber im selben Moment nach der Pistole unter seiner Achsel. Ich schoss ihm in den Hals, und er fiel rückwärts in den Schnee. Eine Hand auf seinen Adamsapfel gepresst und wie eine Kaffeemaschine gurgelnd, erwischte er den Griff seiner Waffe, fummelte sie aus dem Halfter und drückte, als sie vor seinem verdutzten Gesicht auftauchte, versehentlich ab, womit er Zwi den Fangschuss verpasste. Ich zog den Abzug ein weiteres Mal durch und verpasste Schlomo eine Kugel zwischen die Augen, während ich gleichzeitig blitzschnell auf Aaron zutrat und ihm einen kältesteifen Fuß in die Genitalien katapultierte. Trotz des Schmerzes hielt er meinen Fuß fest, bis ich ihm schließlich den Pistolenlauf ins Auge rammte. Er schrie auf und ließ meinen Fuß los. Ich rutschte aus und schlug hin, sah, wie Aaron zurücktaumelte, über Schlomos hingestreckten Körper stolperte und neben ihm landete. Ich rappelte mich auf die Knie, zielte auf seinen Kopf und brüllte ihn an, er solle ja nicht nach seiner Waffe greifen. Aaron hörte es nicht oder wollte nicht hören, jedenfalls zog er seine Colt Automatik aus dem Halfter und versuchte, sie zu entsichern. Aber er hatte kalte Finger. Genauso kalte wie ich vermutlich, nur dass ich schon den Finger am Abzug hatte. Und ich hatte reichlich Zeit und immer noch mehr als genug Gefühl in der Hand, um neu zu zielen und dem Burschen eine Kugel in den Wadenmuskel zu jagen. Er jaulte auf wie ein geprügelter Hund, ließ die Waffe fallen und umklammerte sein Bein. Ich musste jetzt fünf Schuss abgegeben haben oder auch sechs, genau wusste ich es nicht mehr. Also hob ich Zwis Pistole auf und warf meine in die Büsche. Dann sammelte ich Aarons und Schlomos Waffen ein und schmiss sie hinterher. Da Aaron eindeutig außer Gefecht war, trat ich an die flache Grube, fischte meine halb gefrorenen Kleider heraus und zog mich an. Und während ich das tat, hielt ich Aaron eine kleine Ansprache:
    «Ich werde dich nicht töten», sagte ich keuchend. «Ich werde dich deshalb nicht töten, weil ich will, dass du mir zuhörst. Ich bin nicht Erich Grün und war es auch nie. Irgendwann werde ich diesen Mann, wenn es menschenmöglich ist, töten. Ich heiße und hieß immer schon Bernhard Gunther. Ich will, dass du dir diesen Namen merkst. Welcher Fanatiker auch immer derzeit der Führer der Haganah sein mag, ich will, dass du ihm diesen Namen nennst. Damit ihr euch immer dran erinnert, dass es Bernhard Gunther war, der euch gesagt hat, dass Adolf Eichmann noch am Leben ist. Und dass ihr mir einen Gefallen schuldig seid. Aber wenn ihr Eichmann das nächste Mal sucht, dann tut es in Argentinien, denn da werden wir beide hingehen. Er aus den auf der Hand liegenden Gründen. Und ich, weil Erich Grün – der echte Erich Grün – es durch üble Tricks geschafft hat, dass es aussieht, als wäre ich er. Er und euer Freund Jacobs. Und weil ich es nicht mehr riskieren kann, in Deutschland zu bleiben. Nicht nach dieser Sache hier. Verstanden?»
    Er biss sich auf die Lippe und nickte.
    Ich zog mich fertig an. Ich nahm mir Schlomos Schulterhalfter und steckte die Colt Automatik hinein. Dann durchsuchte ich die Taschen des Hünen und nahm Geld, Zigaretten und
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