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Im Taxi - unterwegs in Kairo

Im Taxi - unterwegs in Kairo

Titel: Im Taxi - unterwegs in Kairo
Autoren: Chalid al-Chamissi
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    Mein Gott, wie alt mochte dieser Fahrer sein? Und wie alt sein Auto? Ich war sprachlos, als ich mich neben ihn setzte. Er hatte so viele Falten im Gesicht, wie es Sterne am Himmel gibt; jede Falte drückte sich zärtlich an die nächste. Eigentlich hatte er ein Gesicht, wie Machmûd Muchtâr 2 es so gern bildhauerte. Mit beiden Händen umklammerte er das Lenkrad; und als er die Finger streckte und wieder krümmte, bemerkte ich, dass die Adern auf seinen Händen hervorstanden, als würden sie wie der Nil trockenes Land wässern. Er zitterte leicht, hielt aber das Lenkrad so fest, dass wir schön in der Strassenmitte blieben. Und so fuhren wir genau geradeaus. Seine Augen mit den riesigen Lidern strahlten inneren Frieden aus. Ich fühlte mich sicher.
    Es genügte mir, neben ihm zu sitzen, um mich wohl zu fühlen und das Leben zu lieben. Irgendetwas an ihm erinnerte mich an meinen Lieblingschansonnier, den Belgier Jacques Brel. Wie unrecht er doch hatte, als er sang, dass der Tod besser als Altern sei:
    Mourir cela n’est rien,
    Mourir la belle affaire,
    Mais vieillir … ô vieillir!
    Hätte Brel neben diesem Mann gesessen, hätte er die Worte ausradiert!
    Â»Sie fahren bestimmt schon seit vielen Jahren«, sagte ich.
    Â»Ich bin seit 1948 Taxichauffeur«, antwortete er.
    Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er schon seit fast sechzig Jahren Taxi fuhr. Der Mut, ihn nach seinem Alter zu fragen, fehlte mir zwar, aber ich wagte, ihn auf seine Erfahrungen anzusprechen: »Welche Lehre ziehen Sie aus all den Jahren, damit einer wie ich von Ihrer Erfahrung profitieren kann?«
    Â»Gott sorgt sogar für die schwarze Ameise, die in einer mondlosen Nacht über einen schwarzen Felsen kriecht.«
    Â»Was meinen Sie damit?«
    Â»Ich werde Ihnen erzählen, was mir kürzlich zugestossen ist, damit Sie verstehen, was ich meine.«
    Â»Bitte!«
    Â»Zehn Tage lang war ich so krank, dass ich mich nicht aus dem Bett bewegen konnte. Ich bin sehr arm und lebe von der Hand in den Mund. Nach einer Woche war kein Piaster mehr im Haus. Ich wusste das, auch wenn meine Frau es vor mir verbergen wollte. Ich fragte sie, was wir tun sollten. ›Es ist alles in Ordnung, Abu Hussain‹, antwortete sie. In Wahrheit hatte sie angefangen, Essen bei den Nachbarn zusammenzubetteln. Meine Kinder haben selbst viel um die Ohren. Einer hat die Hälfte seiner Kinder verheiratet, für die andere Hälfte aber hat es nicht gereicht; ein anderer hat einen kranken Enkel und rennt mit ihm von Spital zu Spital. Kurz gesagt: Von ihnen können wir keine Hilfe verlangen. Vielmehr müssten wir ihnen helfen. Nachzehn Tagen sagte ich zu meiner Frau, ich müsse wieder arbeiten. Sie sagte nein und schrie, ich würde sterben. Im Grunde war ich zu krank, um aus dem Haus zu gehen, aber ich hatte keine Wahl. Und so log ich und sagte, ich würde nur kurz ins Café um die Ecke gehen.
    Ich brauchte ganz einfach ein bisschen frische Luft … Ich ging zum Wagen, startete den Motor und flüsterte: ›Gott, hilf mir!‹ Ich fuhr und fuhr, bis ich zum Ormânpark kam. Dort stand ein Peugeot 504, der offenbar eine Panne hatte. Der Fahrer winkte mir, und ich hielt an. Er sagte, er habe einen Kunden vom Golf, der zum Flughafen müsse. Ob ich ihn an seiner Stelle hinbringen könne? Das war die Vorsehung Gottes! Da hatte der mit seinem teuren Wagen eine Panne! Ich sagte: ›Geht in Ordnung.‹
    Der Gast stieg ein. Er war aus Oman, aus dem Land von Sultan Kabûs. Als er mich nach dem Fahrpreis fragte, antwortete ich: ›Was immer Sie mir geben.‹ Er fragte: ›Sie nehmen, was immer ich Ihnen gebe?‹ Ich bejahte.
    Auf dem Weg zum Flughafen erfuhr ich, dass er zum Frachtschalter musste, weil er Waren zu verzollen hatte. Ich sagte, mein Enkel arbeite dort und würde ihm bei der Zollabfertigung helfen. Tatsächlich fand ich meinen Enkel; er hatte gerade Schicht. Das war grosses Glück! Wir erledigten die Zollsache, dann brachte ich den Omaner zurück nach Dukki.
    Er fragte abermals: ›Was bekommen Sie, Hagg?‹ Ich antwortete, wir seien übereingekommen, dass erden Fahrpreis bestimmte. Er gab mir fünfzig Pfund 3 . Ich nahm sie, bedankte mich und liess den Motor an. Er fragte mich, ob ich zufrieden sei. Ich sagte ja.
    Dann sagte er: ›Hagg, der Zoll hätte normalerweise tausendvierhundert Pfund von mir genommen. Dank Ihnen habe ich nur
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