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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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sei auch für Indianer eine Chance, dachte Percival. Zum Glück sagte er es nicht.
    Draußen entstand der Lärm von Hufschlägen, Hundegebell und Geschrei der Kinder, die alle hinausgelaufen waren. Harry brauste mit dem hafergestachelten Klepper auf dem ungepflasterten Weg daher und fing den großen Schäferhund, der ihn bellend verfolgte, mit dem Lasso. Er stoppte das Pferd kunstgerecht und schaute nach seinem großen Bruder, um eine Beurteilung zu erhalten.
    »Absitzen, den Hund freigeben«, sagte Hanska. »Wir sind nicht im Circus.«
    Harry schoß das Blut in Wangen und Schläfen.
    Er glitt vom Pferd. Den Hund freizugeben war nicht so leicht, wie ein gefesseltes Kalb frei zu machen, das sofort flüchtet. Der Schäferhund war wütend.
    Thomas half ohne Spott. »Dein Bruder hat ja keinen Humor«, sagte er.
    Darüber wurde Harry noch zorniger und war für den Rest des Tages nicht mehr zu genießen. Er beachtete auch nicht, daß Thomas einmal vom Pferd fiel.
    Der Abend kam.
    Im Ranchhaus war Raum für viele Gäste, die keine Ansprüche auf gepolsterte Schlafplätze stellten. Es ging um elf Personen. Francis war nicht mitgekommen. Sie wollte das Wochenende mit ihrem Freund verbringen, der auf Ranch-Weekends keinen Wert legte. Mike war zu einem kleinen Freund spielen gegangen.
    Harry und Mary wollten im Haus des mexikanischen Vorarbeiters schlafen. Das sahen der Doc und seine Frau nicht gern, aber da Ite-ska-wih bat, den Zwillingen die Erlaubnis zu geben, und sich bereit erklärte, mit ihnen zu gehen, gab der Hausherr schließlich nach und erklärte sich endlich einverstanden, daß Wakiya-knaskiya als schützender Begleiter, zudem der spanischen Sprache mächtig und von San Francisco her sogar mit spanischen Dialekten vertraut, an Ite-ska-wihs Seite blieb. Die Mexikaner sprachen zwar alle auch englisch, aber wer ihre Gespräche untereinander verfolgen wollte, mußte ein volkstümliches Spanisch kennen.
    Die vier wollten keinen Wagen nehmen, sondern zu Fuß zu der mexikanischen Großfamilie hinübergehen. Es regte sich weiter kein Widerstand, obgleich auch dieser Wunsch recht ungewöhnlich erschien.
    Das Haus der Mexikaner, an einem geschützten Hang in Sichtweite des Ranchhauses erbaut, war hübsch und stabil. Der Vater, Vorarbeiter, von Wakiya auf spanisch angesprochen, empfing seine Gäste mit sichtlicher Freude und einiger Verlegenheit, die sich aber rasch legte. Seine Frau, sein Bruder und seine Kinder begannen sofort mit den Vorbereitungen im Hause, während Fernandez auf Wunsch seiner Gäste noch mit diesen umherschlenderte und ihnen das alte Versteck zwischen Büschen zeigte, das aus den Anfangszeiten seines illegalen Aufenthaltes stammte. Er berichtete von Arbeitslosigkeit und Hungerlöhnen in seiner Heimat und von seinem Wunsch, im Alter doch einmal dorthin zurückzukehren. Der Doc habe ihm versprochen, ihm einen Teil der Ranch zu vererben, da hätten die Kinder dann ihr Auskommen, während er selbst mit seinen Ersparnissen sein Leben in Mexiko, ohne Not zu leiden, beschließen könne. Bürger der USA – nein, Bürger der USA sei er nicht; er halte sich nur mit Arbeitserlaubnis hier auf, als ein Privilegierter unter vielleicht hunderttausend oder hundertfünfzigtausend mexikanischen Arbeitern. Kalifornien sei einmal spanisch gewesen, auch Texas sei spanisch gewesen, ja gewiß. Es gebe da Indianer, die das Land wieder zu Mexiko bringen wollten. Aber das seien wohl vergebliche Hoffnungen.
    Harry Kte Ohitaka wollte etwas über die Kojoten, Wölfe und Berglöwen wissen. Fernandez schaute nach dem Himmel, der dunkelte. Er dunkelte in eine sternklare, mondlose Nacht hinein, endlos gespannt über Berge und Täler, Ranches und Wildnis. Es schien, daß Fernandez über etwas nachdachte, hin und her überlegte, ohne sich aussprechen zu wollen. Wütendes Gebell der großen Hundemeute erscholl in der Ferne, dazwischen Kojotengekläff.
    »Da sind sie schon«, sagte er. »Sie haben Durst und riechen unser Wasser. An unseren Teich da unten wollen sie, aber das schaffen sie nicht. Unsere Hunde sind stärker.«
    »Wölfe?« fragte Mary.
    »Die Wölfe, ja, die haben sich schon mit unseren Hunden angelegt und haben zwei Kühe gerissen. Nachts ist das nicht ungefährlich bei uns. Die Wölfe sind schlau. Sie arbeiten nach Plan. Einer lockt unsere stärksten Hunde heraus, und dann fallen die andern aus einem Hinterhalt über sie her. Ein schlauer alter Wolf ist dabei, den habe ich noch nie fassen können.«
    »Ein Häuptling«,
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