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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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armen Schlucker hier sind Champions ihres Volkes.«
    »Volk sind sie überhaupt nicht. Stämme sind das.«
    »Warum nennst du sie dann alle Indianer?«
    »Weil sie so heißen.«
    »Logik schwach. Weil wir sie so nennen. Sie sind aber Amerikaner. Uramerikaner.«
    »Unsinn. Ein anderes Volk sind sie.«
    »Das ist es ja, was sie fortwährend sagen. Uns betrachten sie als Besatzungsmacht. Aber zwischen Völkern könnte Freundschaft sein. Du kannst ja mit Harry reden. Dagegen hat Mam bestimmt nichts.«
     
    Die Fahrt zur Grapefruit- und Avocadoranch war weit. Hanska und Percival hatten volltanken müssen, eine Ausgabe, mit der sie nicht gerechnet hatten; aber die fünftausend Dollar wollten sie keinesfalls angreifen.
    Die Straße lief zwischen Küste und Bergen, eine reizvolle Strecke. Harry hatte Thomas in den nicht eben bequemen Anhänger gelotst, um sich von ihm informieren zu lassen. Er erfuhr, daß Wolken und Nebel ihre Nässe an Küste und Berghängen niederschlugen, das Gebirge selbst daher vollständig trocken, man konnte sogar sagen, ausgetrocknet war, nur ein Reich für Raubtiere. Die Rancher kämpften sich mit Pumpanlagen mühsam vom fruchtbaren Ufergelände in diese unwirtliche Wüstenei hinein. Sie mußten sich Hundemeuten zum Schutz gegen die Wildtiere halten, die in trockenen Sommern zum Wasser vordringen wollten.
    »Es sind jetzt schon Jäger und Fallensteller unterwegs«, erzählte Thomas. »Das wäre doch auch ein Indianerberuf. Oder?«
    Harry hörte aufmerksam zu und schwieg vor sich hin. Jäger – ja. Wäre ein Beruf. Jäger, wozu? Um den letzten Berglöwen zu erlegen, damit die reichen Leute Grapefruits und Avocados essen konnten? Pfui. Nein.
    »Nein«, sagte er nur, und Thomas konnte nicht begreifen, warum denn nicht. Er wartete vergeblich auf die Erklärung.
    »Leben möchte ich schon da«, sagte Harry Kte Ohitaka auf einmal. »Ich meine, zwischen den Wildtieren.«
    »Du bist ja kindisch.«
    »Wieso? Das würdest du dich nicht trauen?«
    »Quatsch. Trauen schon. Als Jäger.«
    »Mit dem Standplatz auf einer Ranch, wo du dich hinter den Hunden verkriechst?«
    »Du kennst das hier nicht. Du kannst auch nicht zwischen Raubtieren leben wie ein Raubtier. Tarzan gehört in den Filmschmus.«
    »Kenne Tarzan nicht; euren Filmschmus sehe ich mir nicht an. Du kennst mich eben nicht.«
    »Nein, ich kenne dich nicht.«
    Damit war das Gespräch beendet.
    Gegen Mittag wurde die Ranch erreicht. Ein weites, durch Bewässerung fruchtbar gemachtes Gebiet von Bergen und Tälern. Das Ranchhaus stand auf einer der Höhen und gab den Blick in die Runde frei.
    »Da ist ein Pferd«, sagte Harry zu Thomas. »Wie viele habt ihr?«
    »Das eine, genügt ja. Francis reitet nicht mehr ohne Sattel, und Mike ist noch zu klein. Es ist mein Pferd.«
    Harry verbiß sich jede Bemerkung darüber, daß er das Pferd mager und unansehnlich fand. Die Weide sah miserabel aus. Bewässert wurden nur diese Grapefruits und Avocados. Wer daran etwas finden mochte! Er nicht. Der Schecke und der Rappe auch nicht und die Appalousa schon gar nicht. Doch mußte er vor sich selbst zugeben, daß Grapefruitsaft zumindest besser schmeckte als die Milch, die er bei der Schulspeisung zu trinken hatte. Ite-ska-wih trank solchen Saft anscheinend sogar mit Vergnügen.
    Na ja. Aber Berglöwen dafür abschlachten – nein. Das nicht.
    »Wenn ihr an das Pferd herangeht, ihr beiden«, der Doc meinte Harry und Thomas, »dann seid heute vorsichtig. Fernandez« – das war der mexikanische Vorarbeiter – »hat es eine Woche lang mit Hafer aufgefüttert. Es gebärdet sich verrückt, sagt er.«
    Thomas zuckte die Achseln.
    »Wird man ja sehen«, sagte Harry. Diese Redensart hatte er Wasescha abgelauscht. Da es sich um eine Angelegenheit handelte, in der er sachverständig war – wahrscheinlich sachverständiger als der Doc –, fühlte er sich auch berechtigt, die Bemerkung zu machen.
    Die beiden Buben durften losziehen, während alle anderen noch in dem Ranchhaus sitzen blieben und sich über die Ranch, vor allem ihre Bewässerungsanlage, sowie über die Arbeitsbedingungen mexikanischer Arbeiter unterhielten. Wer illegal als »nasser Rucksack«, wet bag, durch den Rio Grande geschwommen war, mußte sich in den Büschen verstecken, um nicht entdeckt, denunziert und ausgewiesen zu werden. Die Arbeiter mit Arbeitserlaubnis, die der Doc jetzt nur noch beschäftigte, waren aber relativ gut bezahlt und hatten ihr eigenes Haus.
    Der Doc soll jetzt nur nicht sagen, das
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