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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Wakiya-knaskiya?«
    »Hau. Verstehen Sie uns bitte, Doc. Sie sind ein Einwanderer, wie Sie selbst sagten. Wir sind die Ureinwohner. Das ist ein Unterschied.«
    »Nicht doch«, bestritt Thomas. »Ihr seid auch eingewandert. Über die Beringstraße.«
    »Sagen die Weißen. Aber vor vierzigtausend Jahren saßen wir schon in Texas. Der Unterschied bleibt. Oder nicht?«
    »Wenn ihr ihn nicht aufgeben wollt, ja«, nahm Raymund wieder das Wort. »Aber was wählt ihr? Gemeinsam Arbeit und gemeinsam Unterworfensein oder ein hohes Lebensniveau für jeden Tüchtigen von euch?«
    »Ein gemeinsames Leben der Tüchtigen, die die Erde und einander lieben, unter allerdings harten Bedingungen, aber nach eigenen Gesetzen«, formulierte Hanska. »Das ist es, wofür wir uns erhoben und auch gelitten haben.«
    »Wer ist euer Chefideologe für solche Ideen? Der Medizinmann?«
    »Nicht jeder Medizinmann und nicht nur ein Medizinmann. Wir arbeiten auch an unseren Gedanken gemeinsam.«
    »Aber einige können das besser?«
    »Natürlich. Zum Beispiel unser Wasescha Hugh Mahan, der Lehrer war; wir nennen ihn den ›Mann, der die Wahrheit spricht‹.«
    »Ein großes Wort, das zu der Pilatusfrage reizt: Was ist Wahrheit?«
    »Die nächsten hundert Jahre werden es zeigen; wir stellen uns, auch unter den unfairen Bedingungen, die die Regierung uns aufzwingt.«
    »Die Praxis wird die Probe sein. Einverstanden. Prost.«
    Der Doc hob das Glas. Die Indianer, Raymunds schweigsame Frau und seine Kinder stießen mit ihm an. Bei Elizabeth Peck hielt der Arzt dabei einen Augenblick an. »Sie wollen nach Maras Direktive Ihr Volk und die Armut wählen. Offengestanden, ich hatte nicht erwartet, daß Sie uns verlassen. Aus Liebe zu Red Crow? Das wäre ein auch uns Weißen verständliches Motiv.«
    »Aus Liebe, Doc, und in der Freude, heimfahren, mithelfen und mitlernen zu können.«
    »Als Entwicklungshelfer? Verstehen wir. Lernen werden Ihre Medizinmänner, Ihr junger Stamm von Ihnen. Aber Sie – von Medizinmännern?«
    »Sicher, Doc. Es gibt Kräuter – Naturheilkunde – und es gibt psychische Beeinflussung.«
    »Unbestritten. Vielleicht besuchen wir Sie einmal.«
    Zum Abschied wurde beschlossen, daß die Gäste am nächsten Tag mit der Familie auf die Ranch fahren sollten, Thomas begleitete die Indianer in die große Garage hinaus, weil es ihn interessierte, was sie für Wagen fuhren.
    »Ferrari und Jaguar!« meldete er seinen Geschwistern. »Habt ihr so was schon gesehen? Amerikanische Fabrikate gibt’s für die wohl nicht. Alte Wagen, aber gut gehalten. Die sind nicht so arm, wie sie tun. Die müssen Erfolg haben mit ihren Pferden. Reisen von Nebraska nach Alberta, von Alberta nach California… überlegt euch das mal!«
    »So hast du dir das mal wieder ausgedacht«, kritisierte Francis, »du möchtest wohl Honorar kassieren?«
    »Blödsinn.«
    »Hast du ›die‹ etwa gefragt, wie sie das machen?«
    »Denke nicht daran. Denn dann macht Mama ihr Gesicht und sagt, ich benehme mich daneben, und ›die‹ sind imstande und geben mir eine freche Antwort.«
    »Aber ich hab’ sie gefragt.«
    »Das sieht dir ähnlich.«
    »Willst du die freche Antwort hören?«
    »Mit welchem hast du denn gesprochen?«
    »Mit dem Mädchen natürlich.«
    »Dann rück raus.«
    »Sie leben auf unfruchtbarem Land, auf Mini-Ranches, sie wohnen in einem selbstgebauten Blockhaus wie die ersten Pioniere Amerikas, sie zahlen für Besitz und Lohn auf der Reservation keine Steuern, sie zahlen keine Miete und keine Heizung, denn sie gehen mit der Axt los und holen sich Feuerholz. Sie essen Bohnen und Mehlklößchen und an hohen Feiertagen Fleisch; manchmal schießen sie sich einen Fasan. Sie haben zwei oder vielleicht drei Kleider und ihre Tracht. Sie trinken nicht. Sie haben keinen Fernseher, sondern nur ein japanisches Radio für zwanzig Dollar. Auf der Reservation gibt es nur ein mieses Cafe, keine Diskothek, kein Kino und kein Theater, keine Bibliothek, außer in den Schulen. Fußball und Hockey spielen sie auf ihrer Präriewiese. Ein Schwimmbad haben sich die Stammesangehörigen selbst gebaut. Ihre Kulttänze kosten keinen Eintritt, so wenig wie die Kirche. Heimlich lernen sie indianische Geschichte auf ihre eigene Weise. Sie haben Waffen und Munition; wenn es ihnen gefällt, fahren sie mit einem Jaguar und einem Ferrari von Nebraska nach Alberta und Kalifornien. Ihre wenigen Pferde sind Prachtpferde. Beim Rodeo gewinnen sie selbst erste Preise. So, nun weißt du es. Die vier
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