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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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sagte Kte Ohitaka. »Berglöwen?«
    »Ein paar. Heute nacht sollte ich sie jagen, aber nun wird es ja nichts damit.«
    »Warum nicht?«
    »Du wolltest nicht etwa auf Löwenjagd gehen?«
    »Nein. Nein. Aber beobachten möchte ich sie.«
    »Das ist zu gefährlich. Das kann ich nicht verantworten.«
    »Du meinst also, die kommen zum Teich heute nacht?«
    »Kann sein.«
    Fernandez horchte auf. Mit ihm alle anderen. Das Gebell und Gekläff hatte sich noch verstärkt und ging jetzt in die Geräusche wütenden Fletschens, Reißens, Knurrens und Heulens über.
    »Auf, auf«, rief Fernandez. »Wir müssen sofort heim!«
    Im Trab ging es zum Mexikanerhaus. Die Räume waren erleuchtet. Eine Mahlzeit mit Mais schmeckte, obgleich man bereits satt gewesen war. Innerhalb des Hauses waren die Geräusche draußen viel schwächer zu hören.
    Aber der mächtige Schäferhund, den Harry mit dem Lasso gefangen hatte, erschien an der Tür, blutend, mit einem zerrissenen Ohr. Die Meute war bei ihm.
    Fernandez schaute sich die Schar der unterlegenen Vierbeiner vom Fenster aus an. »Heute hat er mal den kürzeren gezogen«, erklärte er. »Wenn er aber Wolfsohren sammeln könnte wie unsereiner, würde er uns schon eine schöne Kollektion vorweisen!«
    Der Leithund leckte sich seine Wunden. Die bevorzugte Hündin lag bei ihm. Die wilden Geräusche waren verstummt.
    »Was machen die Wölfe und die Kojoten jetzt?« wollte Wakiya wissen.
    »Die saufen sich voll an unserem Teich, so recht nach Herzenslust. Dann hauen sie ab in ihre Wildnisverstecke. Die zwei Kühe, die wir noch besitzen, habe ich schon bei Tag in Sicherheit gebracht.«
    »Kommt der Löwe noch?«
    »Wär’ schon möglich. Aber ich geh’ nicht raus. Ich schlaf bei euch. Wenn er an den Teich, aber an die Kühe nicht ran kann, säuft er und zieht dann auch wieder ab.«
    »Durst ist eben Durst«, sagte Wakiya.
    Fernandez lächelte halb. »Schon. Sie sind für die Wildnis? Gefällt Ihnen unsere Ranch nicht?«
    »Doch«, besänftigte Ite-ska-wih. »Aber warum muß sie immer größer werden? Auch die freien Tiere sind von Gott geschaffen und brauchen ein Stück Erde und Wasser.«
    »Das verstehen die Amerikaner nie.«
    »Nein, nein.«
    Fernandez lauschte wieder. »Das war er. Habt ihr sein Fauchen gehört? Ganz fern. Er ist am Teich. Vielleicht hat er einen Wolf oder ein paar Kojoten verjagt.«
     Es wurde wieder ruhig. Die Nacht selbst schien einzuschlafen. Aber es dauerte eine Stunde, bis die Menschen im Hause alle einschlummern konnten.
    Der frühe Morgen fand Harry vor der Tür. Fernandez traf ihn da.
    »Schon frisch?«
    »Ja. Sehen wir uns die Spuren an?«
    »Das will ich eben. Kommst du mit?«
    »Ja.«
    Fernandez und Harry rannten auf Pfaden durch die Pflanzungen, die Hänge hinunter zum Teich.
    Dort erkannte Harry, daß Fernandez ein guter Jäger war. Er wußte alle Spuren zu erklären und zu erraten, was sich abgespielt hatte. Der Berglöwe, von dem Tatzenspuren zurückgeblieben waren, hatte offenbar in Ruhe gewartet, bis sich Wölfe und Hunde müde gekämpft hauen. Die Kojoten hatten unterdessen schon ihren Durst gelöscht. Endlich kam der Berglöwe und beherrschte das Revier, bis er sich vollgepumpt hatte.
    »Wie lange hält er jetzt aus?« fragte Harry.
    »Ein paar Tage sicher. Bis dahin fängt es an zu regnen. Unsere Regenzeit steht bevor. Vor nächstem Sommer kann ich den Burschen nicht mehr aufspüren.«
    Harry Kte Ohitaka atmete auf.
    »Du liebst ihn?« fragte Fernandez verwundert.
    »Natürlich. Er ist immer verfolgt wie wir, nur weil er seinen Durst löschen will.«
    »Verfolgt wie ihr Indianer?«
    »Ja.« Harry betrachtete noch einmal die Spuren, und auf einmal sah er Ite-ska-wih neben sich. »Du auch?«
    »Ich auch. Ich habe von dem Löwen geträumt, der eine Löwin und ein Kind hat, und von dem großen alten Wolf. Auch der große Hund muß kämpfen, aber als Sklave. Er ist unglücklicher.«
    Fernandez hielt sich die Ohren zu. »Der Doc verdient viel Geld; er macht damit Land fruchtbar, und wir haben unser Auskommen dabei. Ist das nicht gut?«
    »Das ›zuviel‹ ist es, was nicht gut sein kann«, sagte Wakiya. »Das wird er selbst noch erleben müssen.«
    »Aber er hilft Percival«, schloß Ite-ska-wih. »Wir sollten für ihn beten, damit er den Weg nicht verliert.«
    Harry Kte Ohitaka und Mary Wable-luta-win dachten nur noch an den Berglöwen, dessen Spuren sie gesehen hatten. Alle Pampelmusenstauden Kaliforniens waren nichts dagegen. Aber im Ranchhaus schwiegen die
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