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Grappa 06 - Grappa und der Wolf

Grappa 06 - Grappa und der Wolf

Titel: Grappa 06 - Grappa und der Wolf
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Rotwein aus Valdepenas
    Auf der anderen Seite der Straße stand eine dunkelgrüne Limousine. Ich konnte die Marke nicht erkennen; es war ein starker Wagen, der dort breitbeinig auf dem Pflaster lag. Am Steuer saß regungslos ein Mann, sein Gesicht war im Schatten. Wenn er an seiner Zigarette zog, glühte ein milder, roter Schein über sein Gesicht. Das Auto stand am Ausgang einer Einbahnstraße. Das rote Verbotsschild mit dem weißem Querbalken hing lose in seiner Befestigung von der Hauswand herab. Der Name der Straße – weiße Schrift auf blauem Grund – war unleserlich. Zumindest aus meiner Perspektive. Das Haus – es war übrigens die Straßenecke – war ein müder, grauer Bau; der Verputz bröckelte und legte einen schäbigen Untergrund frei. Ein totes Haus, das ein bisschen Glanz nur von einer grünen Markise erhielt, die über einem Fenster im dritten Stock angebracht war.
    Diesem Gebäude gegenüber standen in verwirrender Unordnung viele leuchtend rote Plastikstühle, gruppiert um weiße Kunststofftische. Dahinter breitete sich ein Stückchen verwilderter Garten aus. Zur Straße hin war er gesichert durch eine niedrige Mauer mit einem starken Eisengitter, in dessen unterem Teil sich allerhand Müll verfangen hatte.
    Die Stühle gehörten zu einer Bar. Haus, Garten und alles drum herum hatte ich im Blick, denn ich hatte mich vor der Bar niedergelassen, wo ein halbes Dutzend der gleichen Stühle aufgebaut waren. Niemand saß mit mir unter freiem Himmel. Ich war allein, hatte gerade eine Auswahl von Tapas bestellt. Kurz gebratene Wachteln und geröstete Ringe von Calamares, gegrillte, scharf gesalzene Fleischstückchen und was noch dazu gehört: Weißbrot, schwarze Oliven, ein wenig Salat und eine ganze Hasche Vino tinto, Landwein aus Valdepenas, wie der Barmann versichert hatte.
    Es war angenehm, hier zu sitzen, so allein. Dagegen herrschte drinnen in der Bar, die Meson Las Tapas hieß, ein völliges Durcheinander – nur Männer waren dort, die mehr Lärm machten, als ich vertragen konnte. Dazwischen mischte sich noch das Geheul einer Flamencosängerin aus vollem Busen.
    Es wurde Abend. Die Sonne war hinter dem Schatten der Häuser verschwunden, einige Vögel steuerten ihre Schlafplätze an, und aus ein paar Fenstern drang bereits elektrisches Licht. Ein streunender Stadtkater strich scheu an meinem Tisch vorbei, um die Lage im Hinblick auf Essbares zu überprüfen. Er schnappte das halb abgegessene Wachtelskelett aus meiner Hand und machte sich davon.
    Plötzlich zerbrach ein Klirren die Ruhe der Straße. Es kam von gegenüber, vom grauen Haus, vor dem der dicke Wagen stand, dessen Fahrer noch immer ruhig auf seinem Platz saß. Hinter dem Fenster im dritten Stock, dem mit der grünen Markise, entdeckte ich einen Schatten. Ein Schrei folgte. Irgendetwas Schreckliches geschah dort! Bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, fiel der Körper einer Frau aus dem Fenster. Der Fall war lautlos, der Aufprall ein dumpfer Schlag.
    Ich vergaß vor Entsetzen zu atmen. Am Fenster erschien der Kopf eines jungen Mannes, ich glaubte Hände zu sehen, das kurze Aufleuchten eines Fingerringes. Die Straße blieb von dem Fall unberührt, niemand außer mir schien etwas bemerkt zu haben, niemand stand als Schatten neugierig am Fenster, aufgeschreckt durch dieses plötzliche Klirren. Die Männer in der Bar hinter mir grölten noch immer, die Sängerin stieß rhythmische, gutturale Schreie zu schweren Gitarrenakkorden aus.
    Ich hatte mich wieder gefasst, sprang auf und lief über die Straße. Der Täter musste noch im Haus sein. Als ich an dem wartenden Wagen vorbeirannte, beobachtete ich eher zufällig, dass sich der Fahrer über das Lenkrad gebeugt hatte, als ob er sein Gesicht verbergen wollte. Er rauchte nicht mehr. Ich klopfte heftig ans Fenster. Es war ein Mann mit Baskenmütze, der dort saß. Er rührte sich nicht. Meine Hand versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. »Nun helfen Sie doch!«, schrie ich. Keine Reaktion.
    Ich lief zu der Frau. Sie war jung, hatte dunkles kurzes Haar, das Gesicht war zur Erde gekehrt. Sie trug ein rotes Kostüm, dessen kurze Jacke durch die ungewollte Lage des Körpers etwas hochgerutscht war. Ich beugte mich zu ihr hinab, suchte nach Lebenszeichen und fand sie nicht. Mit einer Hand versuchte ich den Kopf zur Seite zu ziehen. Ihre Haut war warm, die Augen halb geschlossen und starr. Ich blickte zur Eingangstür. Sie hing ruhig in ihren Angeln, der Mörder war entweder noch
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